Deutschland hat nichts gelernt – 04. Januar 2023

Deutschland hat nichts gelernt!

Nichts gelernt von jahrelangen Diskussionen um Zuwanderung, Migration und Integration. Ressentiments beladene Impulsreaktionen auf der einen Seite, Sprachlosigkeit oder in Worte gefasste Diskursverweigerung auf der anderen Seite. Doch schauen wir mal auf die Silvesternacht und ihre Auswüchse.


Was ist passiert?

Es ist nicht neu: An Silvester wurde geböllert, es wurde übertrieben, Feuerwehr und Polizisten wurden angegriffen. Doch etwas muss in diesem Jahr anders gewesen sein. Irgendwas scheint sich da aufgestaut zu haben. Wie sonst sollte man Böllerattacken, zielgerichtete Angriffe auf Polizisten, Feuerbarrikaden, Hinterhalte, Feuerlöscher als Wurfwaffe und Schreckschusspistolen erklären, mit denen Pyro in Polizeiwagen gefeuert wurde und Pflastersteine auf / in Krankenwagen geworfen wurden? Irgendwann stellte sich sodann die Frage, ob es sich hier nicht weniger um ein Böller-Problem, denn um ein Integrations-Problem handle. Zuverlässig tat die Elite der deutschen Diskussionskultur ihren Dienst.

 
Sagen oder verschweigen: Täter sind zugewanderte Männer

CDU-Vize Jens Spahn brachte die verfehlte Migrationspolitik ins Spiel (Merkel sei Dank) und der Extremismus-/Integrations-/Islamexperte/Autor/Psychologe Ahmad Mansour gab Interviews, in denen er bestätigte: Ja doch, es handelt sich hier um ein Integrationsproblem. Nach der Pyrotechnik entbrannte also die Integrationsdebatte und die Frage, ob man jetzt eigentlich sagen darf, dass die Täter vor allem zugewanderte junge Männer waren. (Zumindest sahen sie aus der Sicht des gemeinen Deutschen so aus.) Der Druck auf dem Diskussionsdeckel war wieder enorm. Als ob in dem Moment, in dem alle endlich einmal beherzt ausrufen können „Die Ausländer sind's gewesen!", das Problem sich von ganz allein lösen würde.

 
Einwanderungsland? Wer? Deutschland?

Doch es gibt da die eine Frage, um die kein Politiker, kein Kommentator, kein Twitterer, niemand drum herumkommt: Wie lange will sich Deutschland eigentlich noch Diskussionen leisten, die die Handelnden innerhalb dieser Gesellschaft in Migranten und Mehrheit unterteilt?

Und ich frage bewusst, wie lange will sich Deutschland das noch leisten, denn wenn es um das Können ginge, steht die Antwort fest: nicht lange. Es zeugt von einer erschreckenden Blindheit der gesellschaftlichen Realität gegenüber, die Figuren in dem Schauspiel, das sich Deutschland heute nennt, in die Zugezogenen und die Anderen zu unterteilen. (Und Zugezogene sagen noch die etwas zivilisierteren; manch andere sprechen von Asylanten und Personen des „Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp".)

Man muss ungläubig den Kopf schütteln und fragen, ob die Sache mit dem Einwanderungsland eigentlich richtig verstanden wurde. Etwa, dass es kein Marketing-Slogan war, nach dem Motto: so wie Baden-Württemberg The Länd ist, ist Deutschland eben Einwanderungsländ. Ein modernes Label. Nicht mehr. Nun, die Bundesrepublik ist Einwanderungsland, weil Menschen eingewandert sind. Und das nicht seit gestern, auch nicht seit 2015, sondern seit zweitausend Jahren.

Wie das Statistische Bundesamt mitteilte, gibt es rund 22,3 Mio. (26,5%) Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund, davon 11,2 Mio. Ausländer, von insgesamt 84,1 Mio. in 2022.

Und die Demografie lässt erahnen, dass es in Zukunft ein noch größerer Teil sein wird. Zugewanderte sind keine Randerscheinung, keine Gemeinde, keine politische Formierung. Zugewanderte sind Deutschland und Deutschland sind Zugewanderte.

Wer also aufgrund von Boshaftigkeit oder unzureichender Auffassungsgabe meint, man müsse nun nach Silvester über Integration und Menschen mit Migrationshintergrund sprechen, bewegt sich auf einem narrativen Feld, auf dem, wenn jene die Täter dieser Nacht waren, die Opfer eben die nicht-migrantischen Deutschen sind. Und das geht freilich komplett an der Realität vorbei. Wer wohnt denn in den nunmehr verrußten Wohnungen auf der Sonnenallee?

Welche unbeteiligten Anwohner mussten wegen Rauchgasvergiftungen behandelt werden? Wer betreibt die Imbisse, Schneidereien und Spätis, die in der Nacht beschädigt wurden? Richtig, auch das sind die Migranten. Es ist eigentlich die einfachste Übung der Logik: Wenn in einem Fall die Täter Zugezogene sind (klare Zahlen hierzu gibt es im Übrigen immer noch nicht), heißt es nicht, dass alle Zugezogene Täter sind und wir ergo ein Problem mit Zuwanderung haben. So einfach.

Ebenso wie niemand auf die Idee käme zu behaupten, dass alle Unionspolitiker korrupt sind oder – noch weiter gefasst – dass alle Deutschen Rechtsextreme sind, die Karl Lauterbach entführen und die Deutschland AG auflösen wollen.

Und da, wo sich Kriminalität häuft, muss der Staat mehr Schutz und Ordnung den eigentlichen Opfern bieten (in diesem Fall zum Beispiel Menschen, die in Neukölln leben) und auf politischer Ebene genauer hinschauen, wo das Problem liegt.

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, allen Bürgern dieses Landes Respekt vor dem Rechtsstaat, seinen Vertretern und dem Grundgesetz abzubringen. Allen. Allen Klein- und Großkriminellen, Islamisten und Reichsbürgern.


Echte Lösungen benötigen Anstrengung

Gewalt-Tendenzen und -Ausbrüche wie an Silvester gibt es in allen Großstädten und abgehängten Milieus. Es gibt sie, es hat sie schon immer gegeben und es wird sie auch sicher in Zukunft geben: Subkulturen der Gescheiterten, die den Staat als Gegner sehen. Das soll nichts entschuldigen, kann aber ein Hinweis sein, wo die Probleme liegen:

  • Gibt es ein Armutsproblem in einem Viertel?
  • Herrscht in den Schulen ausgerechnet dieser Viertel mehr Verwahrlosung und Perspektivlosigkeit, statt des Traums vom Bildungsaufstieg?
  • Entwickeln sich kriminelle Machenschaften in einem Asylbewerberheim?
  • Gibt es einen Wohnblock, der sich zur rechtsfreien Zone entwickelt?
  • Vernetzen sich in einem Verein verfassungsfeindliche Gesinnungen?
  • Wie kommt es, dass viele zugewanderte Männer, den Rechtsstaat und seine Sicherheitskräfte wie Polizei und Feuerwehr nicht nur zu verachten scheinen, sondern sich mit ihren Taten auch noch brüsten?
Hier geht es nur dann rein um Zuwanderung, wenn man zu faul ist, den Blick durch die Oberfläche hindurch in die manchmal hässlichen, oft schmerzhaften Untiefen unserer Gesellschaft zu richten:

Soziale Segregation, Armut, Polarisierung und Entfremdung ökonomischer Lebensstandards, auch vermeintlich Triviales wie städtebauliche Tristesse-Zonen.

Für ein derart diverses Land wie Deutschland braucht es eine entsprechende Ausdifferenzierung der Lösungsansätze, die auf zwei Säulen steht:

  • Zum einen mehr Anstrengung für zielgenaue Maßnahmen aus polizei- und nachrichtendienstlicher Arbeit, Forschung aus Soziologie, Pädagogik und sozialer Arbeit.
  • Und zum anderen das Erkennen von problematischen Konstellationen, die sich in der Tat verallgemeinern lassen: gewalttätige Männer, frustrierte Jugendliche, wahlweise garniert mit einer großen Portion Alkohol- und Drogenkonsum.
Das könnte sich die selbsternannte Fortschrittskoalition aus SPD, Grünen und FDP und die Oppositionsdarsteller von CDU/CSU doch einmal vornehmen, statt mit dem ewigen Gerede von Integration und Zuwanderung die Intelligenz der Menschen zu beleidigen oder den Problemen mit Sprachlosigkeit zu begegnen und Menschen die die Probleme benennen in die rechte Ecke stellen.

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