Hohe Hürden für Fraktionen und Bürgerbegehren – 7. April 2023

Hohe Hürden für Fraktionen und Bürgerbegehren

Die Mindest-Fraktionsstärke für Kommunalpalarmente ab 31 Mitgliedern wurden im Landtag SH von CDU und Grüne von 2 auf 3 Mandate erhöht. Ebenso werden die Neuregelungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden das Beteiligungsrecht der Bürger einschränken. Mit der Einschränkung von Rechten schreckt die Koalition Menschen ab und erschwert die kommunalpolitische Arbeit. Noch mehr Streit statt Zusammenarbeit wird die Folge sein.

Die Wählergemeinschaft Bündnis für Bürger (BfB) lehnt die Einschränkung der kommunalen Demokratie in Schleswig-Holstein wie sie die Landesregierung betreibt entschieden ab. Die kommunale Arbeit wird in Zukunft sehr viel schwerer, wenn man jetzt drei Mitglieder für eine Fraktionsbildung benötigt. Die Problemlagen werden sich sogar verschärfen. Denn die Parteienzersplitterung wird auch nach der Wahl anhalten. In Neumünster kandidieren zur Kommunalwahl am 14. Mai 2023 sieben Parteien, vier Wählergemeinschaften und ein Einzelbewerber. Somit werden wir dann viele Ratsmitglieder haben, die zwar nicht in Ausschüssen abstimmen, aber ihr Rederecht  in den Sitzungen wahrnehmen werden. Also werden diese Sitzungen nicht kürzer oder leichter. Und sehr wahrscheinlich werden diese Ratsmitglieder dann ihre Anträge in der Ratsversammlung stellen. In Zukunft werden die Ratsversammlungen daher noch viel länger und noch chaotischer werden. Damit wird das Gegenteil von dem erreicht, was CDU und Grüne erreichen wollten.

Noch problematischer bewertet das BfB allerdings die Einschränkung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden. Völlig ohne Not schränken CDU und Grüne die Möglichkeiten der Bürgergehren in Schleswig-Holstein ein. In Zukunft soll das Quorum der notwendigen Unterschriften erhöht werden und die Kommunalvertretungen können viel schneller und leichter als jetzt Entscheidungen von Bürgerbegehren rückgängig machen.

Fraktionsstärke in Kommunalparlamenten ab 31 Mandate

Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2008 (Aktenzeichen 2 BvK 1/07) ist die von Bundes- und Landtagswahlen bekannte 5%-Sperrklausel abgeschafft. Antragstellerin war damals die Partei Bündnis 90/Die Grünen, die Partei Die Linke trat dem Antrag bei. Leitsatz des Urteils ist: „Nur die mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungsorgane kann die Fünf-Prozent-Sperrklausel rechtfertigen." (Ziffer 125).

In besagtem Urteil spricht das Bundesverfassungsgericht regelmäßig von „Fraktionen und Einzelvertretern" bzw. „Fraktionen oder Einzelbewerbern". Damit bringt das Bundesverfassungsgericht zum Ausdruck, dass für Parteien oder Wählergemeinschaften gewählte Kommunalvertreter regelmäßig Fraktionen bilden können. Dies entspricht auch Art. 21 Abs. 1 des Grundgesetzes, welcher den politischen Parteien die Mitwirkung an der politischen Willensbildung garantiert.


Dass Kommunalvertreter verschiedener Parteien oder Wählergemeinschaften sich zusammenschließen könnten, um gemeinsam den Fraktionsstatus zu erlangen, ist hier nicht ausreichend: Es würde den Willen der Wählerinnen und Wähler, die einer bestimmten Partei oder Wählergemeinschaft den Vorzug gegeben haben, ins Gegenteil verkehren, wenn mehrere Parteien oder Wählergemeinschaften mit möglicherweise gegenteiligen Ansichten sich zusammenschließen müssten, nur um eine politische Vertretung auf Augenhöhe mit größeren Parteien zu erreichen.


In Kommunalvertretungen wird ein wesentlicher Teil der Arbeit in Ausschüssen geleistet und die Plenarsitzungen der Kommunalvertretungen dort vorbereitet. Das Stimmrecht in Ausschüssen ist an die Mitgliedschaft in einer Fraktion geknüpft; fraktionslose Kommunalvertreter können lediglich beratende Ausschussmitglieder werden. Daher würde die Einführung einer Fraktionsmindeststärke von drei Kommunalvertretern kleinere Parteien oder Wählergemeinschaften benachteiligen.

Eine Fraktionsmindeststärke von drei Kommunalvertretern ab der Größe einer Kommunalvertretung von 31 Mitgliedern entspräche einer faktischen Sperrklausel zur Gründung einer Fraktion von fast 10%. Erst bei einer Größe von 60 Mitgliedern entspräche die Fraktionsmindeststärke von drei Kommunalvertretern wieder fünf Prozent.


Das Bundesverfassungsgericht schreibt in oben genanntem Urteil: „Eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der einzelnen Ausschüsse ist ferner nicht daraus herleitbar, dass nach Wegfall der Fünf-Prozent-Sperrklausel die Gemeindevertretungen aus mehr Fraktionen und Einzelbewerbern bestehen könnten" (Ziffer 141) sowie „vielmehr entspricht die Beteiligung von Minderheiten der gängigen Übung von Volksvertretungen und dem Sinn der Ausschussarbeit. Die Beschlussvorbereitung durch die Ausschüsse dient gerade auch der Berücksichtigung der politischen Auffassung von Minderheitsfraktionen" (Ziffer 142).


Wenn der Wegfall der 5%-Sperrklausel die Funktionsfähigkeit einzelner Ausschüsse nicht beeinträchtigt, ist die Argumentation der beeinträchtigten Funktionsfähigkeit für die Einführung einer faktischen Sperrklausel von nahezu 10 % hinfällig. Weiterhin schreibt das Bundesverfassungsgericht: „Bei dieser Prognoseentscheidung [zur Einführung einer Sperrklausel] darf sich der Gesetzgeber nicht auf die Feststellung der rein theoretischen Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungsorgane zur Rechtfertigung des Eingriffs beschränken. Gerade bei der Wahlgesetzgebung besteht die Gefahr, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit sich statt von gemeinwohlbezogenen Erwägungen vom Ziel des eigenen Machterhalts leiten lässt." (Ziffer 124)


Die Begründung des Gesetzentwurfes führt „eine zunehmende Belastung des kommunalen Ehrenamts, insbesondere durch sehr lange Sitzungen der Vertretungen" als Begründung für die Neuregelung an. Allein die Länge einer Sitzung kann jedoch nicht als „Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit" angesehen werden - zumal die Länge einer Sitzung weniger von der Anzahl der Fraktionen als vielmehr von der Anzahl der zu behandelnden Tagesordnungspunkte abhängt.


In der Begründung des Gesetzentwurfes wird die mögliche Anhebung der Fraktionsmindeststärke auf einen Wert unterhalb 10% der Mitgliederzahl der Kommunalvertretung als „unkritisch" beschrieben. Wie oben beschrieben, ist selbst eine 5%-Sperrklausel bei einer theoretischen Möglichkeit der Beeinträchtigung nicht haltbar - umso mehr muss dies für eine fast doppelt so hohe faktische Sperrklausel gelten.


Zum Anlass des Gesetzentwurfes führt die Landesregierung aus: „[...] Zum anderen wird eine mit Beginn der nächsten Kommunalwahlperiode wirkende Veränderung der Mindestfraktionsstärken in kommunalen Vertretungen ermöglicht, die deren Funktionsfähigkeit stärken soll." (Lt-Ds 20/377, S. 5, vgl. auch Landkreisinfo 814/2022 und 869/2022).


Bei teilweise identischer Argumentation der Streitparteien hat das Bundesverfassungsgericht mit dem eingangs erwähnten Urteil den Leitsatz „nur die mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kommunalen Vertretungsorgane kann die Fünf-Prozent-Sperrklausel rechtfertigen" aufgestellt.


Es bleibt unbestimmt, inwieweit der Gesetzesentwurf die „Funktionsfähigkeit [der kommunalen Vertretungsorgane] stärken soll". Dies rechtfertigt nicht die von CDU und Grüne in SH beschlossene Regelung.


Einschnitte bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

Die angestrebten Neuregelungen für Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden schränken das Beteiligungsrecht der Bürger ein. Seit der letzten Reform wurden in Schleswig-Holstein in den zurückliegenden neun Jahren in den 1106 Gemeinden im Durchschnitt 20 Verfahren jährlich eingeleitet. Zur Abstimmung kamen im Schnitt knapp 10 Verfahren und von diesen gingen etwa zwei Drittel im Sinne der Initiatoren aus, so dass insgesamt nur durchschnittlich 7 Entscheidungen in 1106 Gemeinden tatsächlich abgeändert wurden! Wenn man dies bedenkt, fragt man sich wirklich warum CDU und Grüne dieses demokratische Mitwirkungsinstrument für die Bürgerinnen und Bürger erschweren wollen. Das BfB sieht die Bürgerentscheide nicht als eine Belastung für die repräsentative Demokratie an, im Gegenteil. Mit dem von CDU und Grünen beschlossenen Gesetz hat zum ersten Mal ein Bundesland die Möglichkeit der Durchführung von Bürgerentscheiden wieder eingeschränkt.

Konkret heißt das: Bürgerbegehren gegen Bauleitplanungen sind künftig ausgeschlossen, wenn sie von einer Kommunalvertretung mit Zweidrittelmehrheit beschlossen wurden. Und erst nach zwei Jahren ist es möglich, ein Begehren erneut zu starten. Die angestrebten Änderungen werden dazu führen, dass Bürgerbegehren gegen die Mehrheit einer Kommunalvertretung kaum noch möglich sein werden. Zum einen würde die Frist für die Einreichung der Unterschriften von 6 Monaten auf nur 3 Monate halbiert, zum anderen müssten außerdem in diesem kürzeren Zeitraum bis zu 33% mehr Unterschriften gesammelt werden.

Es geht doch in der Kommunalpolitik vor allem darum, dass Menschen mit einer Minderheitsmeinung sich Sichtbarkeit verschaffen können, dass also gerade jene, die sich in der Öffentlichkeit nicht ausreichend widergespiegelt sehen, ihrem Anliegen eine Chance auf Repräsentation verschaffen.

CDU und Grüne in SH haben mit diesem Beschluss der Demokratie einen Bärendienst erwiesen. Sie haben kleineren Parteien und Wählergemeinschaften die demokratischen Mitbestimmungsrechte teilweise genommen. Im Volksmund nennt man so was einen Anschlag auf die Demokratie. Statt die Demokratie zu stärken, werden die „größeren" Parteien zu Lasten von Minderheiten mit noch mehr Macht und Möglichkeiten ausgestattet.  

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