Aktuelles von der Wirtschafts- und Finanzkrise am 15. März 2022


Der „Aufbaufonds" der EU: Euro-Bonds werden Realität –

Warum die USA Europa gegen einen russischen Angriff nicht verteidigen werden -

 
Die Vergemeinschaftung der Schulden in der EU ist Realität geworden, die Umverteilung erreicht neue Dimensionen.

Seit Sommer des vergangenen Jahres ist das größte Konjunkturpaket in der Geschichte der Europäischen Union beschlossene Sache. „Next Generation EU": So lautet der Name, den die EU ihrem Aufbaufonds gegeben hat. Nach harten Verhandlungen im Juli 2020 wurde ein neuer Haushalt in bisher ungekannter Höhe beschlossen. Insgesamt 1,8 Billionen Euro wurden als Budget bis zum Jahr 2027 vorgesehen. Ein ganz erheblicher Teil dieser Riesensumme, genauer gesagt: 750 Mrd. Euro, sind dabei als Coronahilfe veranschlagt. Das Geld soll dazu dienen, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie in den Mitgliedsstaaten der EU abzufangen. Einen Teil des Geldes sollen die EU-Länder dabei als Zuschüsse bekommen, einen anderen Teil als Darlehen und darüber hinaus auch Infrastruktur, digitale Systeme und „klimafreundliche" Wirtschaftsmodelle stärken beziehungsweise aufbauen. Kern des Programms ist der sogenannte „Aufbaufonds", die Aufbau- und Resilienzfaszilität.

Europa wird nun genau die Schuldenunion, die die Gründungsväter des Euro verhindern wollten. Mittlerweile sind alle Sicherungen dieser Gründerzeit rausgeschraubt. Der Maastricht-Vertrag, der Stabilitätspakt und die schwarze Null gelten nicht mehr. Nun darf sich auch die EU unbegrenzt selbst verschulden, was bislang verboten war. So wird aus einer südeuropäischen Schuldenlawine nun eine gesamteuropäische Schuldenlawine. Deutschland wird über einen juristischen Umweg in die Haftung gezwungen, ohne dass darüber je eine Aussprache im Volk stattgefunden hätte.


Euro-Bonds werden Realität

Seine herausragende Bedeutung verdankt das Projekt dem Umstand, dass die EU-Kommission erstmals in der Geschichte der EU selbst Schulden am Kapitalmarkt aufnimmt und zudem über deren Verwendung maßgeblich bestimmt. In der Vergangenheit waren es die einzelnen Mitgliedsstaaten, die eigenständig neue Mittel am Kapitalmarkt aufnahmen.

Damit vollzieht sich ein wichtiger Paradigmenwechsel auf höchster Ebene: Denn die Kräfte, die schon im Zuge der Euro-Krise für eine Vergemeinschaftung der Schulden innerhalb der EU warben und dies mit der Ausgabe sogenannter „Euro-Bonds" realisieren wollten, haben sich nun gegen jene Stimmen durchgesetzt, welche die Vergemeinschaftung und eine dominantere Rolle der EU-Kommission bei der Finanzierung abgelehnt hatten.

Konkret bedeutet dies: die EU-Kommission wird in den kommenden Jahren am Anleihe- und Kreditmarkt Schulden in dreistelliger Milliardenhöhe aufnehmen. Die daraus resultierenden Zins- und Tilgungszahlungen leisten letztendlich die Mitgliedsstaaten. Diese garantieren auch die Rückzahlung.

Von den insgesamt über mehrere Jahre aufgenommenen Schulden von 750 Mrd. Euro entfallen 390 Mrd. Euro auf Zuschüsse und 360 Mrd. Euro auf Kredite. Zuschüsse sind Gelder, die den am Programm teilnehmenden 27 EU-Staaten „geschenkt" werden, die sie also nicht an die Kommission zurückzahlen müssen. Die Kreditgelder sollen in Form zinsgünstiger Kredite vergeben werden. Das Kreditpaket in Höhe von 360 Mrd. Euro indes setzt sich aus einem Kreditrahmen in Höhe von 312,5 Mrd. Euro und sechs weiteren, kleineren Programmen zusammen, deren Volumina sich zwischen 1,9 Mrd. Euro und 47,5 Mrd. Euro bewegen.

Die Gesamtsumme von 750 Mrd. Euro entspricht den Preisen von 2018. In Preisen des Jahres 2021 berechnet umfasst der „Aufbaufonds" bereits rund 800 Mrd. Euro.

Unklar bleibt, wie genau die Kommission in den nächsten Jahren an Gelder der Mitgliedsstaaten kommen wird, mit denen sie die in ihrem Namen ausgegebenen Anleihen finanzieren muss. Der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft schreibt dazu: „Die EU hat mit dem Aufbaufonds erstmals selbst Schulden aufgenommen. Wie Einnahmen generiert und damit die Schulden zurückgezahlt werden sollen, steht aber noch nicht fest. Sollten sich die 27 Mitgliedsstaaten in der Finanzierungsfrage nicht einigen, droht die Gefahr, dass alte Schulden einfach mit neuen beglichen werden und die EU dauerhaft hohe Schulden behält."

Die EU erwägt bereits, neue Einnahmequellen zu erschließen, um die aufgelaufenen Verbindlichkeiten leichter abbauen zu können. Geplant sind unter anderem eine grenzüberschreitende CO2-Sondersteuer, die Besteuerung digitaler Konzerne, die Abzweigung von Einnahmen aus dem Emissionshandel und eine neue gemeinsame Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage. Ob und in welchem Umfang diese Pläne aber realisiert werden, ist derzeit nicht absehbar.

Wichtig ist außerdem, dass die Staaten zwar Mechanismen geschaffen haben, um die neu gewonnene Macht der Kommission in Finanzierungsfragen zu beschneiden, dass diese Mechanismen aber nur halbherzig ausgefallen sind. So müssen die Finanzminister der EU-Staaten die konkrete Mittelverwendung in anderen Ländern – die auf den wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Kommission basieren – zwar absegnen. Aber: „Wenn einzelne Mitgliedsstaaten ernste Zweifel an der korrekten Verwendung der Gelder in anderen Ländern haben, können sie eine Auszahlung verzögern und eine Diskussion zwischen den Staats- und Regierungschefs über die Probleme erzwingen. Ein echtes Veto ist das aber nicht", schreibt der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft.

Im Klartext: Die Kommission nimmt erstmals selbst Schulden in gigantischer Größenordnung auf, welche letztendlich von den Mitgliedsstaaten bezahlt werden müssen. Sie entscheidet zudem maßgeblich darüber, wie die Mittel von den Ländern eingesetzt werden dürfen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert diese Verhandlungen zwischen Kommission und Finanzministern und fordert ein höheres Maß an Transparenz und demokratischer Beteiligung. „Schon angesichts der Summen, über die derzeit verhandelt wird, ist eine demokratische Beteiligung bei der Verwaltung des Aufbaufonds unbedingt geboten. Denn mit welchen Investitionen und Reformen der wirtschaftliche Aufbau in den Mitgliedstaaten erfolgen soll, kann und darf nicht Expertengremien obliegen. Darüber muss in den Parlamenten – im Europäischen Parlament und auf nationaler Ebene – gestritten und entschieden werden. Die Sozialpartner sollten dabei ein Mitspracherecht haben. Beispielhaft sind hier die EU-Strukturfonds: Bei der Verwaltung dieser Fonds haben die Gewerkschaften zusammen mit Arbeitgebern sowie öffentlicher Verwaltung auf verschiedenen Ebenen eine tragende Rolle. Eine gemeinsame Verschuldung und eine Vertiefung der EU-Wirtschaftspolitik müssen einhergehen mit einer Demokratisierung der Entscheidungsprozesse!"


Wer bezahlt, wer profitiert?

Notwendig zum Verständnis des „Aufbauplans" ist darüber hinaus die Klärung zweier Fragen: Welche Länder und Branchen profitieren besonders vom Geldzufluss und wer bezahlt dafür?

Die Schulden sollen nach dem Willen der Kommission insbesondere zwei Wirtschaftsbereichen zu Gute kommen – „klimafreundlichen", alternativen Technologien sowie der Digitalisierung. Es geht also nicht nur darum, während der Pandemie erlittene Wachstumseinbrüche auszugleichen oder Sondermaßnahmen zur Stützung der Volkswirtschaften zu finanzieren, sondern um einen grundlegenden Umbau des gesamteuropäischen Wirtschaftssystems.

37% der aufgenommenen Schulden sollen für Maßnahmen des „Klimaschutzes" und 20% für die Digitalisierung von Verwaltung, Wirtschaft und Bildungseinrichtungen ausgegeben werden, schreibt Brüssel vor.

Auffallend ist, dass süd- und osteuropäischen EU-Staaten von der Investitionsoffensive besonders profitieren. Obwohl noch nicht ganz klar ist, welche Projekte von der Kommission und den EU-Finanzministern genehmigt werden, lassen vorläufige Zahlen darauf schließen, dass in Relation zur jährlichen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) Bulgarien, Kroatien, Griechenland, Lettland und Rumänien am meisten Gelder überwiesen bekommen.

Gemessen an der nominalen Höhe der Zuschüsse und Kredite liegen Italien, Spanien, Polen und Portugal weit vorne. Italien kann beispielsweise netto mit Überweisungen in der Größenordnung von 32 Mrd. Euro rechnen, Spanien sogar mit etwa 38 Mrd.

Die Gruppe der „Zahler" wird angeführt von Deutschland. Das Land steuert netto rund 66 Mrd. Euro für den Fonds bei, weil mehr als 90 Mrd. Euro Einzahlungen nur 25,6 Mrd. Euro Auszahlungen gegenüberstehen. Mit weitem Abstand folgen Frankreich, das in etwa 23 Mrd. netto einzahlt, die Niederlande mit netto 15 Mrd. und Belgien mit netto 11 Mrd. Euro. Wie die Neue Zürcher Zeitung berichtet, summieren sich die gesamten Netto-Transferzahlungen auf rund 145 Mrd. Euro. Sechzehn Nettonehmern stehen elf Nettogeber gegenüber.

Vor allem bei Gebern wie Deutschland zeigt sich die Absurdität des angeblich gabenreichen Schauspiels. Die Bundesrepublik zahlt voraussichtlich 95 Mrd. € in den Topf von 390 Mrd. € ein und erhält am Ende 25,6 Mrd. €. Zuvor muss Berlin allerdings einen Plan vorlegen, wie man das Geld verwenden will, damit Brüssel die Auszahlung der Gelder genehmigt", kommentiert die Neue Zürcher Zeitung.

Die Bevorteilung der süd- und osteuropäischen Staaten folgt einer gewissen Logik. Die Kommission erhofft sich dadurch, die Großregionen Europas in punkto Wirtschaftsleistung und Wohlstandsniveau aneinander anzugleichen und existierende Gräben aufzufüllen. Diese hatten sich infolge der Pandemie zuletzt noch vertieft.

Länder wie Spanien, Italien, Frankreich, Griechenland oder Portugal mussten im Jahr 2020 beispielsweise einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 9 bis 11% hinnehmen, während etwa Polen, Deutschland, die Niederlande und Österreich nur Einbußen zwischen 4,5% und 7% verzeichneten. Insbesondere die Staaten Südeuropas weisen zudem schon seit Jahren höhere Schuldenraten und Arbeitslosenzahlen auf als Staaten in Mittel- oder Nordeuropa.

Die unter Führung der Kommission nun mit Hochdruck begonnene Umverteilung ist riskant. Sollte sie tatsächlich zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Länder des Südens und Ostens führen – weil die Zuschüsse und Kredite tatsächlich nachhaltig in die (Infra-)Strukturen von Wirtschaft und Staat investiert wurden – würde die EU als Ganzes wirtschaftlich gestärkt und politisch geeint aus der Krise hervorgehen. Dies würde nicht zuletzt auch der deutschen Wirtschaft nutzen.

Eher wahrscheinlich ist aber, dass eine Umverteilung in dieser Größenordnung zu Unmut in den Geberländern und politischen Spannungen innerhalb der EU führen wird. Denn viele Menschen in Mittel-, Nord- und Westeuropa kämpfen seit Jahren gegen einen sinkenden Lebensstandard, angefacht von Null- und Negativzinsen, stark steigenden Preisen und klaffenden Löchern in den sozialen Vorsorgesystemen. Der Ökonom Daniel Stelter wies zu Recht auf den Umstand hin, dass die mittleren Privatvermögen in Italien und Spanien deutlich über denen der Deutschen liegen. Spanier und Italiener bezahlen darüber hinaus auch weniger Steuern und Abgaben als die Bundesbürger, welche fast 50% ihrer Brutto-Einkommen an den Staat abgeben müssen – ein weltweiter Spitzenwert.

Warum die USA Europa gegen einen russischen Angriff nicht verteidigen werden

Meinung: Ein Überblick zu den politischen und wirtschaftlichen Hintergründen der Ukraine-Krise.

Die weltweiten Schulden sind so hoch wie noch nie. Die führenden Notenbanken der Industrieländer haben so viel frisches Geld gedruckt wie niemals zuvor. Während der Corona-Pandemie wurden ungeheuer viele Schecks auf die Zukunft gezogen, die unmöglich jemals eingelöst werden können. In irgendeiner Form muss ein Geld- und Schuldenschnitt kommen. Wäre ein großer Ukraine-Krieg eine Lösung für unsere Finanzprobleme?


Die ökonomische Entwicklung seit 1980: Die Reichen wurden reicher

Seit etwa 1980 sehen wir in den USA, aber auch in vielen anderen Industrienationen, eine zunehmende Ungleichverteilung. Die Schere zwischen arm und reich, genauer zwischen den Wohlhabenden auf der einen und der Mittelschicht beziehungsweise den unteren Einkommensschichten auf der anderen Seite, ist weit aufgegangen. Das war auch politisch durchaus so gewollt. Von der „konservativen Revolution", die 1980 in den USA und Großbritannien begann, ging das Motto aus: Macht die Reichen reicher, entlastet die Unternehmen steuerlich, dann wird mehr investiert und das Wachstum steigt. Das hat auch funktioniert, allerdings unter Inkaufnahme zunehmender Ungleichverteilung - das heißt, ein großer Teil des zunehmenden materiellen Wohlstands ist nach oben geflossen, zu den ohnehin schon Wohlhabenden.

Massenproduktion ist aber nur möglich bei Massennachfrage, und diese setzt wiederum Massenkaufkraft voraus. Aber die Massenkaufkraft ist nur sehr wenig gewachsen, da die Löhne nur wenig gestiegen sind. Wie war also das starke Wirtschaftswachstum überhaupt möglich? Wer hat mit welchem Geld die ganzen zusätzlichen Produkte und Dienstleistungen gekauft? Nun, das funktionierte nur über „explodierende" Schulden. Die weltweiten Schulden sind derzeit mit 296 Billionen Dollar, das entspricht 353% der globalen Wirtschaftskraft, so hoch wie noch nie und können unmöglich jemals zurückgezahlt werden.

Was ist also von 1980 bis heute geschehen? Das zusätzliche Geld und Kapital haben sich mehr und mehr bei einer kleinen Oberschicht konzentriert. Von dieser wurde es wieder renditemaximierend in neue Investitionen gesteckt, für die jedoch eigentlich die Massenachfrage gefehlt hat. Diese fehlende Massennachfrage hat man dann über Kredite geschaffen. Es hat also ein nicht organisches, nicht gesundes, sondern ein krankes Wachstum stattgefunden.

2007 wurde schließlich ein unhaltbarer Zustand dieser Entwicklungen erreicht. Die Schulden waren zu hoch geworden, insbesondere die Immobilienmärkte (aber nicht nur diese) waren auf vollkommen ungesunde Weise gewachsen. Das führte zu der Finanzkrise von 2007 bis 2009, die die Welt an den Rand eines Zusammenbruchs des Finanzsystems führte. Das Schuldenproblem wurde „gelöst", indem neue Schulden aufgenommen wurden. Das war möglich, weil die Notenbanken in fast allen Industriestaaten die Zinsen auf oder nahe Null setzten und frisches Geld in noch nie dagewesenem Maße druckten (und weiter drucken) – der Fachausdruck dafür ist quantitative Lockerung (quantitative easing) beziehungsweise Geldmengenausweitung oder profan ausgedrückt Druckerpresse. Die amerikanische Zentralbank Fed hat die Zentralbankgeldmenge seit 2007 grob verelffacht, die EZB hat sie etwa verneunfacht.

So stehen wir heute nicht nur vor einem unlösbaren Schuldenproblem, sondern auch vor einer riesigen Geldblase, die beide das finanzielle Spiegelbild des eigentlich zu Grunde liegenden ökonomischen Problems sind: Die Massennachfrage ist zu gering, die Produktionskapazitäten sind, gemessen an den Einkommen, viel zu hoch, weil die Ungleichverteilung ständig gestiegen ist. Ein großer Teil des Wirtschaftswachstums der letzten 40 Jahre war ungesundes, schuldenfinanziertes und daher nicht nachhaltiges Wachstum.


Welche Interessen haben die USA?

Von „der" einen Lösungder" Finanzmarkt- oder Überkapazitätsprobleme zu sprechen, ist zu allgemein. Ich möchte daher auf ganz bestimmte, konkrete Interessenlagen eingehen. Wie stellt sich die polit-ökonomische Lage aus Sicht der USA dar? Nun, aus ihrer Perspektive ist Mitteleuropa, insbesondere Deutschland, ein beachtlicher ökonomischer Rivale. Die Bundesrepublik ist die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Technik, Produktion, Produktivität, Effizienz sind im internationalen Vergleich noch ausgezeichnet. Dazu kommt, dass Deutschland seit der Wiedervereinigung von der Einwohnerzahl her deutlich größer als Frankreich, Großbritannien und Italien ist und daher zumindest das Potenzial hat, sich politisch stärker geltend zu machen. Ich fürchte, weder ein starkes Europa noch ein starkes Deutschland sind unter machtpolitischen Aspekten im Interesse der USA. Im Gegenteil, sie sind unangenehme Konkurrenten.

Von daher könnte die Schwächung Europas, insbesondere Mitteleuropas, ein mögliches wichtiges Ziel der USA im Ukraine-Krieg sein. Spinnt man diesen Gedanken fort, könnten Truppenbewegungen und das Austragen militärischer Konflikte auf mitteleuropäischem Boden, möglicherweise auch über den Rhein hinweg in französische, holländische und belgische Industriezentren hinein, aus US-Sicht vorteilhaft sein: Das würde nämlich europäische Industriekapazitäten zerstören, auf diese Weise Konkurrenz ausschalten und die problematischen weltweiten Überkapazitäten reduzieren – auf fremdem Boden und daher zu Gunsten der US-Industriebasis.

Ich sehe daher unter rein hegemonialpolitischen Gesichtspunkten keinen triftigen Grund für die USA, bei einem möglichen Vormarsch russischer Truppen nach Westen Polen oder Deutschland militärisch ernsthaft zu unterstützen. Im Gegenteil: Aus machtpolitischer Sicht könnte ein solcher militärischer Vorstoß nach Mitteleuropa den USA durchaus willkommen sein. Ich rechne daher für den nicht unwahrscheinlichen Fall russischer Truppenbewegungen nach Westen mit vergleichsweise geringem, lediglich gesichtswahrendem militärischen NATO-Beistand für Polen und Deutschland. Von daher könnte ein Vorstoß russischer Truppen bis tief nach Mitteleuropa hinein recht schnell gehen.

Unter Hegemonialgesichtspunkten wären für die USA eine echte, tiefe Völkerverständigung und Kooperation zwischen Russland und Deutschland geradezu ein Alptraum. Das riesige russische Land in einer Allianz mit Mitteleuropa, das technische, geistige, ökonomische Know-how, die Effizienz Mitteleuropas kombiniert mit der gewaltigen Landmasse Russlands und dessen vielen Menschen: eine solche Allianz wäre eine gewaltige machtpolitische Bedrohung für die Hegemonialinteressen der USA. Daher ist meines Wissens seit über 100 Jahren ein zentraler Eckpunkt angelsächsischer Außenpolitik, zwischen Russland und Deutschland einen Keil zu treiben, Misstrauen und Feindschaft zu erzeugen. Durch den Ukraine-Konflikt bietet sich den USA eine neue hervorragende Chance, die beiden Länder zu entzweien.

Charles de Gaulle über den Staat: „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen". Nach dieser Lesart dürfte der einhergehende katastrophale Vertrauensverlust von untergeordneter Bedeutung sein.


Chinas Interessen

Unter machtpolitischen Gesichtspunkten wäre für China ein großer Konflikt zwischen der NATO und Russland auf europäischem Territorium vorteilhaft. Als lachender Dritter könnte man die kriegführenden Parteien mit allen Arten von zivilem und gegebenenfalls auch mit Kriegsmaterial beliefern. Das Reich der Mitte hat daher großes Interesse daran, den Konflikt zu schüren und zum Krieg aufzurufen. Peking hat sich bislang eher auf die Seite Russlands gestellt, was eine mögliche Eskalation des Krieges umso wahrscheinlicher macht, da Moskau auf diese Weise nicht mit einem Zweifrontenkrieg rechnen muss.

Denn das gemeinsame strategische Ziel von Russen und Chinesen ist es, die unipolare Weltordnung, wie sie sich nach dem Zerfall der Sowjetunion herausgebildet hatte, dem Erdboden gleich zu machen. Die Arbeitsteilung funktioniert wie folgt: China heizt den USA ökonomisch und technologisch ein; Russland militärisch.

Chinas Außenminister Wang Yi auf dem Nationalen Volkskongress der chinesischen KP: „China und Russland sind als permanente Mitglieder des Weltsicherheitsrates der UN füreinander die wichtigsten geografischen Nachbarn und strategischen Partner. Die Beziehung der beiden Völker ist felsenfest und folgt der Logik der Geschichte".

Auf den Krieg in der Ukraine angesprochen, antwortete der chinesische Außenminister: „Gleichgültig wie herausfordernd die internationale Situation ist, China und Russland werden ihren Fokus nicht aus den Augen verlieren. Wir bilden eine Partnerschaft zur Koordinierung einer neuen Ära".


Die Lösung des Schuldendilemmas?

Schon heute zeichnet sich ab, dass man durch den Ukraine-Krieg sehr gut von eigenen Problemen ablenken und Putin leicht zum Sündenbock für viele Arten von ökonomischen Schwierigkeiten und Finanzproblemen in der Weltwirtschaft machen kann. Ihm wird schon heute die Schuld an einer kommenden Inflation oder Stagflation gegeben - und nicht etwa dem Gelddrucken der Notenbanken oder den für die Finanzbranche lukrativen Schuldenexzessen der letzten Jahrzehnte oder den explosionsartig wachsenden Vermögen der Milliardäre zu Ungunsten der Einkommen des Rests der Bevölkerung.

In Kriegszeiten kann über Notstandsgesetze in die Märkte und in die Preise administrativ relativ einfach und ohne nennenswerte Widerstände der Bevölkerung eingegriffen werden, so dass beispielsweise tatsächlich vergleichsweise einfach über Inflationsprozesse ein Schuldenschnitt herbeigeführt werden könnte. Die Toleranz der Menschen gegenüber gravierenden Staatseingriffen, Inflation oder Vermögenseingriffen ist in Kriegszeiten und angesichts täglicher schauerlicher Kriegsbilder ungleich höher als in Friedenzeiten. Falls größere Teile der Produktionsanlagen in Mittel- und Osteuropa durch einen Krieg zerstört werden sollten, würde sogar das ursprünglich zu Grunde liegende Problem der Überkapazitäten gelöst – zu Gunsten der Länder, auf deren Territorien keine Kampfhandlungen stattfinden. Man kann danach am Wiederaufbau gleich mitverdienen.


Was kommt auf uns zu?

Bereits vor dem Ukraine-Krieg gab es reichlich Grund zur Sorge um das Wohl und Wehe der Weltwirtschaft: Die hohen Schulden, die Geldblase, überbewertete Aktien- und Immobilienmärkte, starke Armut und Hunger in Entwicklungsländern usw. – was durch die Corona-Maßnahmen noch zusätzlich verschlimmert wurde. Durch die Kriegshandlungen schnellen derzeit die Energie- und Lebensmittelpreise sowie die Preise einiger Rohstoffe in die Höhe.

Das dürfte für sehr viele Unternehmen, Länder und zahllose Menschen eine große, vielleicht nicht mehr tragbare Belastung darstellen. Die Börsen sind seit den Kampfhandlungen abgestürzt und schwanken dramatisch. Wenn der Krieg weiter anhält, womit ich rechne, dürften die Weltkapitalmärkte vor großen Turbulenzen und schlimmstenfalls einem Crash stehen. Soziales Chaos wäre dann vorprogrammiert. Ich fürchte, die Zeichen der Zeit stehen auf Sturm.

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