Aktuelles von der Wirtschafts- und Finanzkrise am 14. Juni 2020


Die Deglobalisierung beginnt –

Warum das EU-Konjunkturprogramm so gefährlich ist

Konsum-Paket: Die große Verpuffung -

Das monetäre Endspiel -



Die Corona-Pandemie verändert die Wirtschaft. Sicherheit der Produktion wird künftig wichtiger sein als Effizienz. Die Folgen sind nicht nur gesundheitlicher Art, sie treffen Wirtschaft, Transport, Versorgung und Lieferketten empfindlich. Die Corona-Pandemie führt uns vor Augen, wie abhängig die Welt von globalen Lieferketten und vom Produktionsstandort China geworden ist. Das bedeutet: Arbeitsplätze und Produktionen wieder nach Hause holen, Alternativen schaffen, um die Abhängigkeit zu reduzieren. Das wird China Wachstum kosten und schlussendlich hoffentlich die Kommunistische Partei zu Fall bringen. Wir sehen gerade den Beginn der Deglobalisierung.

Eine der großen Erfolgsgeschichten der Menschheit ist die Globalisierung: Sie hat in den vergangenen Jahrzehnten das Wirtschaftswachstum stimuliert – um 43% legte das weltweite BIP seit 2009 zu – vor allem in den Schwellenländern.

Sie hat neue Jobs geschaffen, Menschen in den Arbeitsmarkt integriert und so für mehr Wohlstand gesorgt. Allein in der Europäischen Union existieren heute mehr als 36 Mio. Arbeitsplätze, die von Exporten in Drittländer leben.

Die hat die Unternehmensgewinne stark wachsen lassen. Allein seit 2010 konnten die Dax-30-Konzerne ihre operativen Gewinne (EBIT) um mehr als ein Drittel steigern – und so wiederum den Aktienmarkt beflügeln. Und dennoch herrscht weltweit eine Globalisierungsmüdigkeit, die schon vor Corona begann. Nach den steilen Wachstumsraten im globalen Handel in den 1990er-Jahren trübte sich die Entwicklung ab dem Jahr 2000 vorübergehend ein und stagniert seit dem Jahr 2011. Das Platzen der Dotcom-Blase, die Lehman-Pleite und der Brexit, schließlich der Handelskrieg USA vs. China waren die Ouvertüre, Corona das Requiem. Harvard-Professorin Carmen Reinhart, die neue Chefvolkswirtin der Weltbank, sagte zu Bloomberg TV: „Ohne melodramatisch zu sein, aber Covid-19 ist der letzte Sargnagel für die Globalisierung."

Doch die Globalisierungspause ist keine Laune des Augenblicks. Hier sind fünf handfeste Gründe einer globalen Neuorientierung:

Erstens: Der Siegeszug der globalen Wertschöpfungsketten war vom Börsenkapitalismus und seiner Suche nach maximaler Rendite getrieben. Der Rückzug hingegen – und sei es nur der partielle Rückzug – wird von den politischen Eliten getrieben, die verloren gegangenen Herrschaftsraum zurückerobern möchten. Viele Konzerne nutzen die Globalisierung schamlos, um Steuern zu vermeiden und Umweltgesetze zu umgehen. Damit kann man keine Wahlen gewinnen.

Zweitens: Die Bürger ziehen mit, weil sie als Beschäftigte und als Konsumenten die Limitierungen der Globalisierung spüren; das Gefühl der Abhängigkeit von amerikanischer Hochtechnologie und chinesischer Pharmazeutik hinterlässt auch im Exportland Deutschland einen faden Beigeschmack. China ist heute nicht mehr nur der Abnehmer unserer Produkte, sondern strategischer Rivale.

Drittens: Die zunächst überall im Westen geteilte Hoffnung, im Zuge der Globalisierung werde es eine Angleichung der politischen Systeme geben, ging nicht in Erfüllung. China nutzt die Verflechtung in die globalen Wertschöpfungsketten, um seine politische, militärische und kulturelle Hegemonie im asiatischen Raum und darüber hinaus auszubauen. Globalisierung ist zuweilen auch nur ein anderes Wort für Naivität.

Viertens: Die schöne Idee, ein weltweiter Austausch von Waren und Dienstleistungen würde die sozialen Ungleichgewichte auf der Welt ausbalancieren, hat sich nicht bewahrheitet. Zwar sind viele Entwicklungsländer, zum Beispiel China und Indien, aus bitterer Armut auferstanden. Doch die Armutsmigration erreicht derzeit ein neues Allzeithoch. Nach Information der Vereinten Nationen sind derzeit weltweit 272 Mio.  Menschen auf Wanderschaft.

Fünftens: Die Globalisierungspause ist auch das Echo einer kulturellen Überforderung, die in den globalisierten Ländern selbst zu Spaltungstendenzen führt. Das hohe Tempo der großstädtischen Kultur bzw. der Globalisten und die dort bevorzugte multikulturelle Lebensweise hat in vielen ländlichen Regionen Gefühle der Entwurzelung und der Überforderung genährt. Die Lieblingsworte im mittleren Westen der USA aber auch in den ländlichen Regionen Deutschlands sind nicht Gender und Diversität, sondern Regionalität und Heimat. Man isst hier nicht Tofuburger mit Kichererbsenmus, sondern Nackensteak mit Pommes.

Fazit: Es wäre am klügsten, die Eliten würden die Globalisierungspause für eine neue Nachdenklichkeit nutzen. Vielleicht lässt sich ja das Höher-Weiter-Schneller in ein Besser-Tiefer-Gerechter verwandeln. Die nächste Phase der Globalisierung kommt – aber anders.


Warum das EU-Konjunkturprogramm so gefährlich ist

Der weltweite Schuldenberg wächst aufgrund der Covid-19-Pandemie deutlich schneller als zuvor. Auf 7,8 Billionen US-Dollar addieren sich laut IWF die Rettungspakete weltweit. Die Staatsverschuldung sollte laut einer noch vor der Corona-Krise erfolgten Schätzung der Ratingagentur S&P in diesem Jahr auf 53 Billionen US-Dollar steigen – und damit um fünf Prozent im Vergleich zu Ende 2019. Der Internationale Währungsfonds geht mittlerweile von einem Zuwachs von 13% für die Eurozone aus.

Zur wirtschaftlichen Rettung Europas soll sich, so sieht es der Plan von Kanzlerin Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron vor, auch die Europäische Kommission verschulden. Bislang hat sie das nicht getan.

Für den 500 Mrd. € schweren Pakt hagelt es Kritik, denn rechtlich ist diese Verschuldung der Kommission, gemäß geltenden EU-Verträgen, gar nicht vorgesehen. Über die ständige Geldmengenexpansion befragt, sagte Prof. Hans-Werner Sinn: „Ein erheblicher Teil dieser Summen, die die Staaten ausgeben, kommt direkt aus der Druckerpresse. Das Geld macht einen kleinen Umweg über die Märkte, über die Staatspapiere, aber kommt dann eben aus der Druckerpresse und gelangt von dort in die Taschen der Bürger, die kompensiert werden für Lohneinkommen, das sie nicht mehr haben – Stichwort Kurzarbeitergeld – und es geht an Firmen, die kompensiert werden für Erlöse, die sie nicht mehr haben."

Die Dimension dieser wundersamen Geldvermehrung hat ein historisch einmaliges Niveau erreicht und damit ein Ausmaß, das den erfahrenen Ökonomen besorgt: „Die Europäische Zentralbank hat für dieses Jahr angekündigt, für 1.100 Mrd. € neues Geld zu drucken. Und man munkelt, dass bereits im Juni ein neues Programm mit weiteren 500 Mrd. aufgelegt werden soll. Das sind astronomische Summen, wenn man bedenkt, dass die Zentralbankgeldmenge am Beginn der Eurokrise, wo die Wirtschaft auch nicht kleiner war als jetzt, insgesamt nur 1.200 Mrd. € groß war."

Diese Expansion der Zentralbankgeldmenge, sagt Sinn, könnte sich schließlich in einer großflächigen Geldentwertung entladen, auch wenn die Preisstatistik des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden derzeit nicht darauf hindeutet: „Das erinnert mich sehr stark an die Finanzierung nach dem Ersten Weltkrieg und auch im Ersten Weltkrieg, wo die Staatsausgaben für den Krieg aus der Druckerpresse finanziert wurden, nicht über die Märkte. Und auch in der Nachkriegszeit, als wir zufälligerweise damals die Spanische Grippe hatten, hat der Staat das gemacht. Mit der Folge, dass dann eine Hyperinflation zustande kam."

Dass Zentralbanken über Instrumente verfügten, diese Summen wieder einzusammeln und zu „sterilisieren", wie sie selber sagen, bestreitet Sinn: „Das ist einfach nicht wahr."

Der 500 Mrd. € schwere Rettungspakt der EU, konzipiert von Angela Merkel und Emmanuel Macron, sei nichts anderes als die Einführung von Eurobonds durch die Hintertür: „Stellen Sie sich vor, die EU-Kommission verschuldet sich gemeinschaftlich, und ein Land wie Italien ist pleite und kann nicht zurückzahlen. Soll man dann den Konkurs der EU anmelden? Oder soll Deutschland dann etwas tiefer in die Tasche greifen, um das zu verhindern? Faktisch kommt diese Konstruktion den Eurobonds sehr, sehr nahe."

EU und EZB finanzieren so den italienischen Haushalt und die Kraft der finanziellen Injektionen wird bei der nächsten Sitzung des EZB-Rates nochmals erhöht. Der Löwenanteil fließt in die Sanierung der morschen Staatshaushalte, während die notleidende Wirtschaft fast leer ausgeht. Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau: „Im Namen unseres Mandats müssen wir höchstwahrscheinlich noch weiter gehen."

Es geht um das Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme), das erst am 18. März aufgelegt worden war. Für 750 Mrd. € darf die Notenbank demnach Anleihen und Aktien einzelner Länder aufkaufen, um diese zu stabilisieren. Bisher wurden vor allem italienische Staatsanleihen gekauft. Bereits im Herbst sind die 750 Mrd. verpulvert, sodass jetzt schon nachgeladen werden soll. Die Frankfurter „Börsen-Zeitung" hat sich unter den Mitgliedern des EZB-Rates umgehört: „Viele setzen auf eine Aufstockung um 500 Mrd. €, einige erwarten aber auch eine Verdopplung auf 1,5 Bill. €."

Das ist Wahnsinn mit Methode. Die Aufkäufe italienischer Staatsanleihen plus die EU-Zuschüsse werden damit in Höhe eines kompletten italienischen Haushalts stattfinden. Das Europa der Regionen und der Eigenverantwortung stellt sich damit die Kapitulationsurkunde aus. Italien ist de facto zum 17. Bundesland der Bundesrepublik geworden.

Die europäischen Rettungspolitiker Emmanuel Macron und Angela Merkel haben in Ursula von der Leyen ihre Lehrmeisterin gefunden. Nach dem 500-Milliarden-Euro-Plan von Franzosen und Deutschen lobt die EU-Kommissionspräsidentin – die über keinerlei eigene Steuereinnahmen verfügt – nun ein 750-Mrd.-Euro-Programm aus. Frei nach dem Motto: Wer kein eigenes Geld besitzt, sollte wenigstens großzügig mit dem der anderen sein: Allein 500 Mrd. € sind von ihr als nicht rückzahlbare Geschenke für bedürftige Staaten gedacht, weitere 250 Mrd. € als Kredite.

Mehr als 300 Mrd. € dieser Summe sollen allein für die Krisenländer Italien und Spanien reserviert sein. So sind für Italien 82 Mrd. € als Geldgeschenk und 91 Mrd. € als Darlehen gedacht. Spanien darf mit 77 Mrd. € als Zuschuss und 63 Mrd. € als Darlehen rechnen. Forza Italia! Viva España!

Geplant ist, mit der ersten Rückzahlung bis zum Jahr 2028 zu warten, wenn von den heute amtierenden Politikern niemand mehr im Amt sein dürfte. Die letzte Tranche soll 2058 getilgt werden. Angela Merkel wäre dann 103 Jahre und Ursula von der Leyen 99 Jahre alt.

Doch das Spiel mit den großen Zahlen ist in Wahrheit ein Hütchenspiel. Es gibt wenige Gewinner und viele Verlierer. Es sind neun unbequeme Wahrheiten, die von der Leyen dem Publikum vorsätzlich verschwiegen hat:

Erstens: Im großen Stil wird Geld ausgereicht an Unternehmen, die keiner Subvention bedürfen. Beispiel Autoindustrie: Allein die drei Autokonzerne Volkswagen, BMW und Daimler haben in den vergangenen zehn Jahren Gewinne nach Steuern in Höhe von über 237 Mrd. € gemeldet. Für das vergangene Geschäftsjahr will VW laut Hauptversammlungsbeschluss vom Februar rund drei Mrd. € Dividende an seine Aktionäre ausschütten, BMW 1,6 Mrd., Daimler rund eine Mrd. Kaufanreizprogramme können diese Firmen aus der Portokasse stemmen.

Zweitens: Mit Geldgeschenken aus der Staatskasse werden Strukturen zementiert, die schon vor Corona sich im letzten Teil ihres Lebenszyklus befanden. Beispiel Zeitungsverleger: Im Gespräch ist eine Subvention für Zeitungszusteller, damit das sterbende Produkt Papierzeitung ein bisschen langsamer stirbt. Beispiel Thyssenkrupp: Der einstige Stahlgigant, der schon vor Corona angezählt war, wird nun mit einer Milliarden-Injektion aus der Steuerkasse versorgt. Das hilft, aber heilt nicht.

Drittens: Einen Großteil der Rechnung werden die Sparer bezahlen. Denn spätestens nach dieser Schuldenorgie ist Geld kein knappes Gut mehr, weshalb sein Besitz auch nicht mehr durch Zinsen belohnt wird. Weil der Realzins oft negativ ist und mittlerweile unterhalb der Inflationsrate liegt, kommt es auf den Sparbüchern zu einer noch nie dagewesenen Entwertung von Kaufkraft.

Viertens: Die große Hektik und die mangelnde inhaltliche Vorbereitung für das Verschenken dieser Milliardenbeträge begünstigen Staaten und Strukturen, die schon bislang nicht sorgfältig mit Geld umgegangen sind. Die Medien werden noch Jahre lang von Geschichten über Parteienfilz, Korruption und Mafia-Geschäfte leben.

Fünftens: Die notwendige Transformation der Bildungsinfrastruktur in Europa, wird nach dieser Kraftanstrengung weiterhin vernachlässigt. Das ehrgeizige Ziel der Lissabon-Strategie – im März 2000 beschlossen die europäischen Staats- und Regierungschefs, aus der EU bis zum Jahr 2010 den wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Raum der Welt zu machen – ist ohnehin längst vergessen. Die Wahrheit ist: Europa ist in Sachen Bildung der am wenigsten ambitionierte Wirtschaftsraum der Welt.

Sechstens: Europa wird genau die Schuldenunion, die die Gründungsväter des Euro verhindern wollten. Mittlerweile sind alle Sicherungen dieser Gründerzeit rausgeschraubt. Der Maastricht-Vertrag, der Stabilitätspakt und die schwarze Null gelten nicht mehr. Nun darf sich auch die EU unbegrenzt selbst verschulden, was bislang verboten war. Aus einer südeuropäischen Schuldenlawine wird nun eine gesamteuropäische Schuldenlawine. Deutschland wird über einen juristischen Umweg in die Haftung gezwungen, ohne dass darüber je eine Aussprache im Volk stattgefunden hätte.

Siebtens: Die sozialen Verteilungswirkungen der Rettungspolitik sind fatal. Die Finanzmärkte sind die eindeutigen Gewinner, weil die Schuldenpolitik der Staaten und die Geldschöpfung der Notenbanken die Einsätze im globalen Casino in die Höhe schnellen lassen. Sparer und Steuerzahler hingegen werden – die einen sofort, die anderen später – für diesen fiskalischen Amoklauf bezahlen. Das internationale Großkapital, das Grüne, Linkspartei und SPD sich gerne vorknöpfen wollen, hat keine Angst vor diesem Maulheldentum, denn es lebt gesichert in der Steueroase. Der „kleine Mann" lebt nebenan. Er ist deutlich einfacher zu belangen.

Achtens: Die ökonomisch unseriöse und in ihrer Verteilungswirkung ungerechte Schuldenorgie ist ein Förderprogramm für Populisten. Die Zukunft der AfD ist so gesichert. In der Mittelschicht rumort es. Denn sie ist es, die letztendlich die Hauptlast trägt und somit ihren sozialen und gesellschaftlichen Abstieg befürchtet.

Neuntens: Mit diesem Verschuldungsschub in Europa verliert die Welt ihren letzten sicheren Hafen. In der Dritten Welt, die man heute verharmlosend „Emerging Markets" nennt, reift eine giftige Frucht heran. So sitzen die Schwellenländer bereits jetzt auf einem Schuldenberg von 8,4 Billionen US-Dollar. Durch die Corona-Krise kommen in diesem Jahr weitere 730 Mrd. Dollar hinzu, was einige der Schwellenländer an den Rand einer Währungskrise bringen dürfte. Die Golfstaaten stehen vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Der Petro-Dollar wirkt aufgrund des Ölpreisverfalls nicht mehr. So hat der Oman sowohl seine Wasser- als auch seine Stromrechnung aus finanziellen Gründen mit Verspätung beglichen.


Fazit: Kurzfristige Liquiditätshilfen für die Wirtschaft und ihre Beschäftigten sind notwendig; Milliarden schwere Steuergeschenke für Länder und GROßE Firmen aber transformieren die Pandemie in eine Staatsschulden- und Vertrauenskrise. Der Opportunismus von Politikern und Medien, die nahezu geschlossen der EU-Schuldenpolitik Beifall klatschen, ist beeindruckend und beängstigend zugleich. Oder um es mit Kurt Tucholsky zu sagen: „Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!"

Widerspruch kam von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. Der 33-Jährige führt mit Schweden, Dänemark und den Niederlanden (die „sparsamen Vier") den Widerstand gegen die expansive Geldpolitik der EU an: „Bei der Summe und dem Verhältnis Kredit versus Zuschüsse sind wir der Meinung, dass wir erst am Anfang der Verhandlungen stehen."

Auf die Kritik, ein „Anti-Europäer" zu sein und in Not geratenen Ländern nicht helfen zu wollen, erwidert er: „Die Kritik überrascht mich, denn die Position, die wir vertreten, war vor zwei Wochen noch die Position, die in Deutschland vertreten worden ist."

Es ist notwendig, bei so großen Summen, die bewegt werden sollen, ordentlich zu diskutieren. Da geht es zunächst einmal um die Frage, wie viel müssen diejenigen zahlen, die zahlen sollen. Und dann geht es natürlich um die Frage: Wie kommt das Geld bestmöglich an? Ist es mit Reformen verbunden oder verpuffen diese Hilfen eher?"

Sebastian Kurz rät auch mit Blick auf die Tragfähigkeit der europäischen Schulden zu mehr Augenmaß: „Es gibt viele Länder, die trotz eines hohen Wirtschaftswachstums Defizite zustande gebracht haben. Das kann langfristig nicht funktionieren. Wenn wir dort nicht die Trendwende schaffen, dann können wir in eine Situation kommen, wo noch nicht einmal mehr Deutschland die Europäische Union retten kann."



Konsum-Paket: Die große Verpuffung

Für die Bundeskanzlerin regnet es am 4. Juni 2020 Sterne vom Himmel. Im Gefühl der gemeinsam durchlebten Pandemie geht die Öffentlichkeit mit der Kanzlerin ungewohnt liebevoll um.

  • Der ehemalige Wirtschaftsweise Peter Bofinger schwärmt auf Twitter: „Da sieht man einmal, was in Deutschland wirtschaftspolitisch alles möglich ist. Weiter so!"
  • Carsten Brzeski, der Chefvolkswirt der ING-Diba, sekundiert: „Mehr geht kaum."
  • Für den Handwerksverband ZDH ist klar: „Das ist eine bemerkenswerte Antwort auf eine beispiellose Krise."

Die Sterntaler-Urteile der Wirtschaftsgrößen sind menschlich verständlich, zumal viele der Lobredner aus der Industrie reich beschenkt wurden. Aber ökonomisch ist das Lob nicht durch Fakten gedeckt.

Deutschlands Ökonomen stellen sich in diesen Tagen ein Armutszeugnis aus. Viele glauben, es sei in dieser schwierigen Situation ihre staatsbürgerliche Pflicht, der Regierung zuzustimmen und deren Konjunkturprogramm mit optimistischen Prognosen zu flankieren.

Doch wer es wissen will, weiß es besser. Das Programm mit einer 20-Milliarden-Mehrwertsteuersenkung im Zentrum setzt an der falschen Stelle an. Deutschland leidet nicht an mangelnder Konsumenten-Nachfrage, sondern an einer staatlich gewollten Angebotsverknappung. Gegen reduzierte Öffnungszeiten, gekappte Verkaufsflächen, maskenhafte Einkaufserlebnisse, Verbote für diverse Dienstleistungen und Restriktionen im internationalen Waren- und Reiseverkehr kann kein Verbraucher an konsumieren. Die beabsichtigte Mehrwertsteuersenkung ist daher die größte Geldverschwendung seit Erfindung des Wortes Geldverschwendung.

In den Zahlen, die jedermann auf dem Armaturenbrett der Volkswirtschaft ablesen kann, ist die staatlich induzierte Angebotsreduktion deutlich zu sehen:
  • Die Industrieproduktion ist im April gegenüber dem Vorjahr um 25,3% eingebrochen.
  • Die Flotte der Lufthansa befindet sich nach wie vor größtenteils am Boden.

Studien zeigen, dass eine befristete Mehrwertsteuersenkung entweder zur Gewinnmitnahme im Handel führt oder unmittelbar nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer wieder durch Kaufzurückhaltung kompensiert wird. Das Geld ist weg ohne nachweisbare Stimulanz der Volkswirtschaft.

Was tun? Der Staat muss die Wirtschaft wieder in die Lage versetzen, dem kaufwilligen und finanziell auch kauffähigen Publikum ein Angebot zu unterbreiten. Eine präzise, zügige und wirkungsvolle Wiederöffnungsstrategie für die Flughäfen, die Messeveranstalter, die Reisebüros, den Einzelhandel, die Fußballstadien und Jahrmärkte ist notwendig. Weltweit. Eine Erleichterung von Zukunftsinvestitionen wäre hilfreich. Und wenn das alles aus medizinischen Gründen derzeit nicht machbar ist, dann hilft noch immer keine Steuersenkung. Dann muss die Regierung in aller Ernsthaftigkeit um Verständnis werben.

Im Moment setzt die Regierung das Steuergeld wie eine Droge ein. Sie will Ängste wegspritzen. Sie will die psychologische Stimmung im Lande aufhellen. Sie will dem Volk die Schmerzen einer tiefen Rezession nehmen. Aber dieses Unterfangen ist gleichermaßen teuer wie wirkungslos. Es wird enden wie jeder Drogenexzess: mit dem kalten Entzug und dem Verlust von Lebensenergie. Möge der Deutsche Bundestag als souveräner Inhaber des Budgetrechts der Regierung in die Arme fallen. Vielleicht besinnen sich auch Deutschlands Top-Ökonomen noch. Sie werden als Experten, nicht als Jubelperser der Kanzlerin gebraucht. Oder um es mit Hannah Arendt zu sagen: „Kein Mensch hat das Recht, zu gehorchen."

Die beschlossenen Maßnahmen sind teuer, werden die Verschuldung in die Höhe treiben und dürften den Konsum kaum stimulieren. Deutschland rettet derzeit mit Billionensummen seine Vergangenheit. Die Große Koalition baut das teuerste Industriemuseum der Welt. Sechs Gründe sprechen für eine große Verpuffung:

Eine befristete Mehrwertsteuersenkung von 19 auf 16 bzw. 7 auf 5% kann nur dann wirken, wenn die Steuersenkung ihren Weg zum Verbraucher findet. Der Gesetzgeber darf Einzelhändler und Fabrikanten aber dazu nicht zwingen. Angesichts knapper Liquidität ist die Versuchung groß, diese Steuererleichterung als Extra-Profit einzustreichen.

Mit rund 20 Milliarden Euro ist die zeitweise Reduzierung der Mehrwertsteuer der größte Einzelposten des Konjunkturpakets. Der Gedanke, dass die Steuererleichterung, die rund der Hälfte des Bundeswehr-Etats (45,1 Mrd. €) und mehr als dem Bildungsetat (18,3 Mrd. €) entspricht, am Ende gar nicht beim Verbraucher ankommen könnte, beschleicht nun immer mehr Ökonomen, nachdem Ende vergangener Woche noch wie im Choral gelobt wurde. „Mir ist nicht ganz klar, ob die Unternehmen wirklich für die kurze Zeit ihre Preise senken werden oder diese Steuersenkung nicht einfach nur mitnehmen", sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (Ifw) dem „Handelsblatt".

Lars Feld, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen, fürchtet: „Der Konsumeffekt der Mehrwertsteuersenkung wird durch die Kaufzurückhaltung der Konsumenten beschränkt."

Michael Gerling, Geschäftsführer des Handelsforschungsinstituts EHI aus Köln, sorgt sich, dass das Paket für die Unternehmen vor allem eines bedeutet: Mehr Arbeit. „Die Mehrwertsteuersenkung hört sich erstmal gut an, für den schwer angeschlagenen Handel bringt sie aber keine Vorteile."

Mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer wagte erstmals ein führender CDU-Politiker, der allgemeinen Begeisterung zu widersprechen. Er sagte: „Die Senkung der Mehrwertsteuer verstehe ich nicht." „Mein Eindruck ist, dass niemand in Deutschland eine Senkung für notwendig gehalten hat. Jetzt wird es so gemacht. Es muss uns schon darum gehen, Maß zu halten und eine Verhältnismäßigkeit zu haben."

Die Regierung weiß um dieses Risiko. Schon die Senkung der Mehrwertsteuer auf weibliche Hygieneprodukte, bekannt als „Tampon Tax", hat nicht funktioniert. Statt die Steuerreduktion an die Kundinnen weiterzureichen, erhöhten Produzenten wie Johnson & Johnson (O.B., Carefree) kaltschnäuzig die Preise. Die Steuersenkung trieb den Unternehmensgewinn, nicht den Konsum.

Einkaufen mit Maske macht keinen Spaß und kostet aufgrund der strengen Abstandsregeln viel Zeit. Nicht selten muss Schlange gestanden werden. Der Einzelhandel kann in seiner derzeit limitierten Kapazität den von der Politik erhofften Konsumschub in seinen Geschäften gar nicht aufnehmen.

7,3 Mio. Kurzarbeiter dämpfen die Konsumlust – auch die der anderen. Ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit ist zu erwarten. „Die Personalabteilungen der deutschen Unternehmen bereiten sich auf Entlassungen vor", fasst das Ifo-Institut das Ergebnis einer aktuellen Umfrage zusammen. In dieser Situation ist Sparen angesagt.

Viele Branchen, die für gewöhnlich den Konsum entfachen könnten, sind daran gehindert, ihre Produkte und Dienstleistungen überhaupt dem Publikum anzubieten. Es gibt keine Konzerte, kein Theater und Kinos öffnen erst wieder langsam. Viele Busreisen sind abgesagt, die Urlaubsdestinationen sind nur begrenzt erreichbar, die Reisebüros sind vielerorts geschlossen und die Gastronomie stellt laut Gesetz um 23 Uhr ihre Dienste ein.  

Von der Leipziger Buchmesse bis zur Hannover Messe: Alle großen Messen fallen aus. Damit wird auch der Einkauf der Firmen gebremst. Ein Angebot, das man nicht kennt, kann nicht begeistern.

Fazit: Entscheidend für die Konsumlust ist weniger die Größe des momentanen Geldbeutels als vielmehr die Zukunftserwartung. Auf der Spitze einer weltweiten Rezession tritt der kluge Verbraucher auf die Bremse, nicht aufs Gas. Zumal die Kaufkraft der Sparguthaben – bedingt durch die Negativzinspolitik von EZB und Geschäftsbanken – dahinschmilzt wie der Schnee in der Frühlingssonne. Prognose: Der Konsumrausch findet in den Zeitungen und im Bundestag statt. Spätestens im Herbst dreht sich die öffentliche Meinung. Die Lob-Redner von heute haben dann als Kritiker ihren Auftritt. Oder wie der Aphoristiker Thom Renzie formuliert: „Opportunisten sind Spezialisten im Umgang mit wechselnden Windrichtungen."

Die Elektromobilität gehört zu den Profiteuren des Konjunkturpakets: Statt einer neuen Abwrackprämie steigt die bestehende „Umweltprämie" auf bis zu 9.000 €. Einen Durchbruch für das Elektroauto wird es trotzdem nicht geben.

Denn: Nur acht Prozent der potenziellen E-Auto-Käufer in Deutschland geben an, dass staatliche Förderungen ihre Kaufentscheidung beeinflusst. Das ergab eine Studie zu deutschen E-Auto-Käufern von PricewaterhouseCoopers.

Außerdem fehlt noch immer die notwendige Lade-Infrastruktur. Die (berechtigte) Angst der Kunden vor der Langstrecke hemmt den Verkauf. Auch die Modellpalette der verfügbaren Elektromobile ist zu klein, um einen Durchbruch zu erzielen. Die Regierung fördert Produkte, die die Industrie (noch) gar nicht anbietet.

Das neue Konjunkturpaket führt zu Erklärungsbedarf. Arbeitsminister Hubertus Heil sagte: „Deutschland wird, wenn alles gut läuft, nach dieser Krise die Chance haben, mit diesen Maßnahmen digitaler, sozialer und ökologischer zu werden." Heil möchte trotz der 130 Mrd. für die Konjunktur keine Jobgarantie abgeben: „Das habe ich als Arbeitsminister immer gesagt. Ich kann wirklich nicht für jeden Job garantieren. Wir erleben das ja auch, es sind Arbeitsplätze verloren gegangen. Aber dass wir um jeden Job kämpfen, das können wir mit den Mitteln des Staates unterstützen, übrigens auch mit den Mitteln des Sozialstaates."

Die vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer verteidigt er. Dass sie von der Wirtschaft ausgenutzt und durch Preiserhöhungen nicht weitergegeben wird, zweifelt er an: „Die Unternehmen haben ja ein Interesse daran, dass sie ihre Produkte und Dienstleistungen absetzen. Deshalb wird es in vielen Bereichen Rabatte geben, um tatsächlich Absatz anzukurbeln. Ich kann das nicht in jedem einzelnen Fall garantieren, weil der Staat ja kein Durchgriffsrecht auf Preisgestaltung hat. Aber der ökonomische Impuls ist richtig, und ich glaube, das wird sich auch deutlich machen."

Aus den Erfahrungen der Vergangenheit weiß man, dass Steuersenkungen selten beim Verbraucher ankommen. Hoffen wir, dass es diesmal anders wird.



Das monetäre Endspiel

Die handelnden Akteure - EU, EZB und die Politkasten - transformieren die Pandemie in eine Staatsschulden- und Vertrauenskrise. Um im „Spiel" zu bleiben geht nur noch das monetäre Endspiel. Hinterließ schon die zurück liegende Finanzkrise einen immensen Schuldenberg, den die Weltwirtschaft als ganze nie wieder abgebaut hat, so werden die fiskalpolitischen Folgen der Corona-Krise das weltweite Schuldenniveau auf ein neues Schuldenplateau anheben.

Man muss gar nicht fantasiebegabt sein, um rabenschwarze Jahre vor sich zu sehen. Das Worst-Case-Szenario einer tiefen „Dreifachkrise" von Finanzwirtschaft, Realwirtschaft und westlichem Wirtschaftssystem rückt immer näher. So eine massive Depression gilt in den offiziellen Verlautbarungen noch als unrealistisch. Doch den Beruhigungspillen sollte niemand mehr trauen. Bank- und Staatsvertretern lagen in der Krise schon oft daneben. Nach all den Irrungen der letzten Jahre sollten sich Alle mit dem „Worst Case" vertraut machen.

Die Entstehung der bevorstehenden Depression sähe grob gezeichnet in etwa wie folgt aus:

Angenommen, die Weltwirtschaft schrumpft über drei bis fünf Jahre, teils mit zweistelligen Raten. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP), mit einer Exportquote von 50% stark vom Welthandel abhängig, fällt bis 2022 um insgesamt 15%. Die Realwirtschaft hat schwerste Absatzprobleme, da der Nachfrageschock wegen fehlender Absatzmärkte, die in der Corona-Krise eingebrochen sind, eine Negativspirale in Gang setzt: Unternehmenspleiten steigen drastisch und ziehen Massenarbeitslosigkeit nach sich. Der Konsum bricht ein, weitere Pleiten folgen. In Deutschland steigt die Arbeitslosenzahl binnen weniger Jahre von derzeit 3,5 auf rund acht Mio.

Die Bundesregierung muss explodierende Sozialausgaben finanzieren, Konjunkturpakete stemmen, anteilig EU-Kredite und Staatshaushalte der Südländer subventionieren. Zudem belasten die Rettung der Wirtschaft und die hohe Nachfrage nach staatlichen Krediten das Budget. Da Steuererhöhungen in einem solchen Szenario kontraproduktiv sind, entscheidet sich die Regierung für eine massive Neuverschuldung, die weit über die derzeitigen Volumina hinausgeht. Das Haushaltsdefizit dürfte sich unter diesen Vorzeichen mehr als verdoppeln.

Die Europäische Währungsunion gerät immer mehr unter massiven Druck. Staaten und Unternehmen können nur über eine Entwertung der Währungen ihre massive Verschuldung los werden. Und dafür ist Inflation die wichtigste Voraussetzung. Die Notenbanken kaufen exzessiv Staatspapiere auf, drucken also faktisch Geld.

Erst mit hohen Preissteigerungen verflüchtigen sich die Altschulden, am Ende kippt die Währung. Gläubiger wie Anleger, die Staats- oder Unternehmensanleihen halten, sind dann die Gelackmeierten. Gewinner von Währungsreformen sind immer die, die Schulden haben.

Die mittelfristig hohe Inflation setzt den Euro unter Druck und lässt die EZB massiv an Glaubwürdigkeit verlieren. Einzelne Staaten treten aus der Euro-Zone aus. Der DEXIT ist da.

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