Aktuelles von der Wirtschafts- und Finanzkrise am 12. April 2020


Kommunalfinanzen in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise

Im Kampf gegen die Corona-Krise stehen die Kommunen in vorderster Linie. Doch durch die sich abzeichnende Rezession geraten sie unter massiven finanziellen Druck – und nur, wenn Bund und Länder ihnen helfen, werden die Kommunen handlungsfähig bleiben.

Die Corona-Krise ist in erster Linie ein gesundheitspolitisches Thema, bei dem zu Recht vor allem Epidemiologen und Ärzte gefragt sind. Darüber hinaus löste die Pandemie aber auch einen ökonomischen Schock aus. Die Auswirkungen sind noch nicht kalkulierbar. Schon jetzt ist aber absehbar, dass es eine schwere Rezession geben wird, wenn nicht sogar die schwerste in der Nachkriegszeit. So hält etwa das ifo-Institut einen BIP-Einbruch von bis zu 20% für denkbar – das wäre das Dreifache der Finanzkrise.

Die Politik hat gut daran getan, zeitnah und unbürokratisch Lösungen zu erarbeiten. Das Kurzarbeitergeld für Beschäftigte, Überbrückungskredite für Unternehmen sowie finanzielle Hilfen für Kleinunternehmer und Freiberufler sind richtige und geeignete Wege. Auch Staatsgarantien, Staatsbeteiligungen und eine befristete Übernahme der Löhne und Kosten von Unternehmen, die von der Krise getroffen sind, sind Maßnahmen, die bei einer Verschärfung der Krise vom Staat getragen werden müssen. Bei diesen Fragen ist in erster Linie der Bund gefordert.

Wenn es aber darum geht, das staatliche Krisenmanagement vor Ort umzusetzen, stehen die Kommunen an vorderster Linie. Hier sitzen die Gesundheitsämter, werden Krankenhäuser betrieben, Ausgangsbeschränkungen überwacht. Hier können Maßnahmen umgesetzt werden, um z. B. lokale Gewerbetreibende oder Kulturschaffende zu stützen. Und nicht zuletzt treffen die Kommunen Vorkehrungen, um die Daseinsvorsorge auch bei weiteren Verschärfungen aufrecht zu halten.

Die Kommunalhaushalte werden unter massiven Druck geraten

Diese Maßnahmen binden Ausgabenmittel in den kommunalen Haushalten, die in den Budgets für 2020 selbstredend nicht abgebildet sein konnten. Finanzielle Lasten drohen aber noch vielmehr auf der Einnahmeseite über die Gemeindesteuern und den kommunalen Finanzausgleich. Während Bund und Länder in dieser Phase die grundgesetzlich verankerte Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen können, sind die Kommunen haushaltsrechtlich sehr viel stärker beschränkt.

Eine seriöse Abschätzung des zusätzlichen Aufwands für die Kommunen ist derzeit noch nicht möglich – allerdings ist klar, dass er enorm sein wird. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden für die Kommunen auch aus finanzieller Sicht dramatisch sein. Auf der einen Seite brechen die Einnahmen weg und auf der anderen Seite werden die Ausgaben, vor allem für soziale Leistungen, stark ansteigen. Wichtiger noch als die zu erwartenden zusätzlichen Ausgaben sind jedoch die bereits kurzfristig eintretenden Einnahmeeinbußen. Es sind nicht nur die Steuereinnahmen, die den Kommunen wegbrechen, sondern auch Einnahmen für Kitagebühren, Tickets für Museen, Schwimmbäder, Theater, Tierpark oder ÖPNV. Und im Gegensatz zu den Mehrausgaben lassen sich die Einnahmerückgänge zumindest ansatzweise quantifizieren. Dafür lohnt zunächst ein Blick auf den Haushalt 2019 / 2020 der Stadt Neumünster:

Haushalt 2019/2020         Seite A 66         Vorbericht

Übersicht über die Steuereinnahmen und wichtigsten Finanzzuweisungen sowie die Umlagen
(§ 6 Abs. 1 Nr. 1 GemHVO-Doppik) Quelle: Haushaltsentwurf 2019/2020 Seite A66 Stadt Neumünster

Ergebnis
2015
in TEUR
Ergebnis
2016
in TEUR
Ergebnis
2017
in TEUR
Prognose
2018
in TEUR
Ansatz
2019
in TEUR
Ansatz
2020
in TEUR
1
2
3
4
5
6
7
Grundsteuer A
61,0
60,7
61,6
61,6
59,0
59,0
Grundsteuer B
13.479,0
13.355,5
14.419,8
14.500,0
14.000,0
14.000,0
Gewerbesteuer
35.296,3
46.662,6
50.535,9
47.000,0
47.000,0
47.000,0
Gemeindeanteil an der
Einkommensteuer
23.56,3
24.167,4
26.345,2
27.663,7
29.983,1
31.817,5
Gemeindeanteil an der
Umsatzsteuer
4.523,8
4.674,9
5.857,0
7.593,4
7 .477,2
7.632,2
Vergnügungssteuer
1.363,5
1.440,6
1.852,2
1.985,6
2.100,0
2.100,0
Hundesteuer
478,1
479,6
506,2
506,2
500,0
500,0
Zweitwohnungssteuer
35,6
184,6
103,3
103,3
70,0
70,0
andere Steuern
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
Gemeindeschlüsselzuweisung
13.915,8
13.641,1
16.336,7
15.106,8
17.211,2
18.403,6
Kreisschlüsselzuweisung
31.950,1
32.969,7
37.619,0
39.092,4
39.633,0
42.378,7
Schlüsselzuweisung für übergemeindliche Aufgaben
(§15 FAG)
13.943,5
13.578,0
16.994,5
17.819,6
17.904,3
19.144,7
Ausgleichsleistungen nach dem
Familienleistungsausgleich
(§ 31 a FAG)
2.152,2
2 .277,8
2.335,4
2.408,8
2.450,0
2.450,0
sonstige allgemeine Finanzzuweisungen
(Fehlbetragszuweisung)
2.945,0
3.113,0
2.999,0
0,0
0,0
0,0
Allgemeine Zuweisungen vom Land
(§ 22 Abs. 13 FAG)
12,7
12,7
12,7
1.800,0
1.800,0
1.800,0
Summe der allgemeinen Deckungsmittel
143.500,2
156.605,5
175.965,8
173.841,4
178.387,8
185.555,7
Veränderung z. Vorjahr in %
9,1
12,4
-1,2
2,6
4,0
Gewerbesteuerumlage
5.493,6
7.945,3
7.616,6
8.809,7
7.852,5
4.012,2
allgemeine Kreisumlage
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
zusätzliche Kreisumlage
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
Amtsumlage
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
Zusatzamtsumlage
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
Finanzausgleichsumlage
 0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
0,0
Summe der Umlagen
5.493,6
7.945,3
7.616,6
8.809,7
7.852,5
4.012,2
Veränderung z. Vorjahr in %
44,6
-4,1
15,7
-10,9
-48,9

Neben den sonstigen kommunalen Steuern (z.B. Hundesteuer, Zweitwohnungssteuer) entfallen die kleineren Anteile auf den Gemeindeanteil bei der Umsatzsteuer und auf die Grundsteuern. Bei den Grundsteuern sind nur geringe Einbußen zu erwarten. Zwar kann es zu Zahlungsausfällen kommen, wenn Unternehmen zahlungsunfähig werden. Ansonsten bleibt die Steuerbasis der Grundsteuer konstant. Bei der Umsatzsteuer sind, trotz der oben genannten Hilfsprogramme, gewisse Einbußen wahrscheinlich.

Entscheidend für die Gemeinden sind die Entwicklungen bei der Einkommenssteuer und bei der Gewerbesteuer, die zusammen den größten Teil der Gemeindesteuern ausmachen und für Neumünster mehr als 42% betragen. Bereits jetzt sind erhebliche Verwerfungen am Arbeitsmarkt zu beobachten, so z.B. bei der Kurzarbeit. Dies drückt sich in der Einkommenssteuer aus.

Das größte Risiko aber liegt in einem absehbar dramatischen Rückgang der Gewerbesteuer. Bei der Stadt Neumünster deckt diese Steuer rund 25% der Einnahmen. Schon bei der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 waren die Gewerbesteuereinnahmen um 20% gesunken. Da nun nahezu die gesamte Wirtschaft unter der Corona-Pandemie leidet, wird der Rückgang bei den Gewerbesteuereinnahmen vermutlich noch deutlich höher als die damaligen 20% ausfallen.

Der Rückgang für den Haushalt der Stadt Neumünster kann nach dem „Worst-Case-Szenario" des Ifo-Instituts bis 15 Mio. € (20% BIP-Reduktion) betragen. Im Wesentlichen werden bei der Gewerbesteuer die Gewinne von Unternehmen besteuert. Eine historische Krise wie die jetzige wird bei den allermeisten Unternehmen die Gewinne erheblich mindern bzw. gar zu Verlusten führen.

Der Anstieg der Ausgaben in der Corona-Krise und der enorme Einbruch der Steuereinnahmen hat im geltenden System dramatische Folgen und wird die Handlungsfähigkeit der Kommunen blockieren.

Was die Situation zusätzlich verschärft und ein sofortiges Handeln der Landesregierung S-H erfordert, ist die kurze Vorlaufzeit. Im laufenden Jahr zahlen die Unternehmen quartalsweise Abschläge als Vorauszahlung kalkuliert auf Grundlage der Vorjahreswerte (Februar, Mai, Augst, November). Bei belegbaren wirtschaftlichen Problemen können die Unternehmen beim zuständigen Finanzamt einen Antrag auf Kürzung der Vorauszahlungen stellen.

Von dieser Option wird angesichts der beginnenden Rezession in diesem Jahr ein Großteil der Unternehmen Gebrauch machen. Darüber hinaus hat der Bundesgesetzgeber diese Option bereits erleichtert. Die Finanzämter sind angewiesen, Anträge auf Kürzungen auch ohne besondere Gründe wohlwollend zu behandeln. Unternehmen direkt zu entlasten ist konjunkturpolitisch sinnvoll, führt jedoch für die Kommunen zu unmittelbaren Einnahmeverlusten. Diese werden die Haushalte bereits mit der Zahlung per 15. Mai erreichen.

Der Status Quo führt in die Blockade

Der Anstieg der Ausgaben und der enorme Einbruch der Steuereinnahmen hätte im geltenden System der Kommunalfinanzen dramatische Folgen und würde die Handlungsfähigkeit der Kommunen blockieren. Die Probleme liegen im Haushaltsrecht und in der Liquidität.

Haushaltsrechtlich müssen die Kommunen bei Anzeichen erheblicher Mindereinnahmen unverzüglich reagieren und das kurzfristig Mögliche zur Stabilisierung des Haushaltes tun. In der Praxis erlässt die Stadt bzw. die Ratsversammlung eine Haushaltssperre, womit alle vertraglich oder gesetzlich nicht gebunden Ausgaben (zumindest vorerst) blockiert sind. In der Summe wäre der Effekt auf die Gesamtausgaben gering, die Sperre wirkt aber hoch selektiv: Sie beträfe genau die krisenbedingten Mehrausgaben, die im Haushalt 2020 natürlich nicht vorgesehen waren.

Viele Kommunen werden bereits im laufenden Jahr Engpässe der Liquidität verzeichnen, da Steuern nicht wie geplant fließen. In Reaktion darauf werden Liquiditätskredite nötig, für welche die Kommunen jedoch keine ausreichende formalrechtliche Genehmigung besitzen. Denn diese Bedarfe waren in der Haushaltsplanung 2020 nicht absehbar.

Die Situation der kommunalen Haushalte wird sich rapide verschlechtern. Daher müssten erstmal Kassenkredite wieder in den Instrumentenkasten aufgenommen werden. Der Rahmen für Kassenkredite in Neumünster beträgt bis 30 Mio. €. Der Kassenkredit ist ein typischer Indikator zur Abbildung einer defizitären Lage. Kassenkredite werden kommunalrechtlich als kurzfristige Instrumente zur Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten definiert.

Das für „Normalzeiten" konstruierte und sinnvolle Haushaltsrecht wird in dieser Rezession die Kommunen in chaotische Zustände stürzen

Geradezu dramatisch wirkt sich das Haushaltsrecht mit Blick auf die Planung des Doppelhaushaltes 2021 / 2022 aus. Vor dem Hintergrund der einbrechenden Einnahmen ist der gesetzlich geforderte Haushaltsausgleich für die Kommunen nicht darstellbar. Sie geraten damit in den Fokus der Kommunalaufsicht und sind gezwungen, Maßnahmen der Haushaltskonsolidierung zu beschließen.

Diese Maßnahmen wären zwecklos und könnten die Defizite nicht auffangen – der Zustand vorläufiger Haushaltsführung droht. Die vorläufige Haushaltsführung, auch als Interims- oder Übergangswirtschaft oder Nothaushaltsrecht bezeichnet, gilt, sofern der Haushalt noch nicht durch die Kommunalaufsicht genehmigt ist. Denkbar wäre daher, erstmal nur für 2021 einen Haushalt zu planen.

Auch kann der kommunale Finanzausgleich, dem unter anderem eine „Versicherungsfunktion" gegen Einnahmeausfälle zukommt, kurzfristig nicht helfen. Im Gegenteil: Es drohen bereits im laufenden Jahr Kürzungen der Schlüsselzuweisungen, da das Bundesland ebenso auf den Einnahmerückgang reagiert. Die Schlüsselzuweisung ist eine zweckfreie Zuweisung des Landes zur allgemeinen Finanzierung der Ausgaben des Verwaltungshaushaltes. Richtschnur ist die Einwohnerzahl – für Neumünster sind es für 2020 lt. Haushalt fast 80 Mio. €.

Kurzum: Das für „Normalzeiten" konstruierte und sinnvolle Haushaltsrecht wird in dieser Rezession die Kommunen in chaotische Zustände stürzen. Die finanzielle Handlungsfähigkeit ist nicht mehr gegeben, und damit auch die Rolle der Kommunen als Stabilitätsanker und Akteur der Krisenbewältigung.

Das Land S-H muss den nötigen Schutzschirm stellen

Es bestehen also vorrangig zwei Probleme, die adressiert werden müssen: Haushaltsrecht und Liquidität. Beides ist durch das Land S-H lösbar.

Das Land verantwortet das Haushaltsrecht und damit auch die Vorschriften der Haushaltswirtschaft. Der Grundsatz des Haushaltsausgleichs und dessen Folgen (insbesondere Haushaltssperren) sind gesetzlich verankert. Das zuständige Innenministerium kann bestimmte Normen über Erlasse an die Aufsichtsbehörden praktisch temporär aussetzen. Es muss verhindert werden, dass die Kommunen den sachlich zwecklosen, bürokratisch aufwendigen und schädlichen Weg harter Sparprogramme beschreiten.

Die Kreditfinanzierung des kommunalen Haushaltes muss in diesen Krisenzeiten möglich sein.

Die zweite Säule der notwendigen Maßnahmen betrifft Zuweisungen. Zur Erinnerung: Hauptursache für die Haushaltsprobleme wird der Einbruch der Gewerbesteuer sein. Die Länder müssen diesen Einbruch ausgleichen, um die Haushalte zu stabilisieren. Dieser Ausgleich sollte sich an den geplanten Einnahmen für 2020 orientieren.

Die dritte Säule der Hilfen sollte die Kommunen bei krisenbedingten Mehrausgaben unterstützen. Diese Zuweisung kann an pauschalen Indikatoren, wie der Einwohnerzahl, ansetzen.

Diese Hilfen können die Länder natürlich nicht aus den bestehenden Haushalten schultern. Dies wäre weder sinnvoll, noch ist es nötig. Die Schuldenbremsen der Länder erlauben ihnen, wie auch dem Bund, im Falle von Naturkatastrophen die Aufnahme von Krediten.

Erstes Gebot in der Krise: Handlungsfähigkeit sichern

Bund und Länder müssen, in der sich abzeichnenden Rezession von historischem Ausmaß auf breiter Front Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Erste weitreichende Maßnahmen sind beschlossen und je nach Lage können weitere folgen.

Die Kommunen sind in der Krise direkter Ansprechpartner für die Bürger, und das ist in unserer Demokratie und in unserem föderalen System auch sinnvoll. Die Kommunen agieren als Krisenmanager vor Ort mit Rücksicht und unter Beachtung der lokalen Begebenheiten. Die zusätzlichen Ausgaben der Kommunen für die Bewältigung der Krise sind schwer einzuschätzen und sie werden lokal auch in der Sache variieren. Klar ist hingegen, dass diese Mehrkosten erheblich sind und zusätzlich zu den in den Haushalten geplanten Mitteln anfallen.

Einer der wichtigsten Grundsätze im Umgang mit Krisen ist: Der Staat muss handlungsfähig sein. Die Länder haben die finanziellen Spielräume, die Kommunen handlungsfähig zu halten. Sie müssen diese schnell nutzen.

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