Aktuelle Lage der Euro- und Staatsschuldenkrise am 15. August 2019


Der Nullzins sprengt die Gesellschaft –

Kroatien drängt in den Euro-Raum -

Deutschland lebt von der Substanz -


Der alte Kontinent operiert nun auf unbestimmte Zeit im Südeuropa-Modus. Doch die dauerhafte Niedrigzinspolitik führt zu Verwerfungen, die offenbar alle verdrängen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron will ein militärisches Weltraumkommando gründen. Die extraterrestrische Extravaganz passt zu einem Mann, der im europäischen Machtpoker die erste „Geige spielen" will. Für die Glorie Frankreichs.

Zwei der wichtigsten Jobs besetzen nun Frauen, die ganz auf seiner Linie liegen. Mit EZB-Chefin Christine Lagarde und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat der Franzose Schwestern im Geiste. Die Euro-Zone operiert ab sofort auf unbestimmte Zeit im Südeuropa-Modus. Eine gemeinsame Einlagensicherung wird wahrscheinlicher, der ewige Nullzins sowieso. Beides zementiert die Schuldenexzesse. Die Austeritätspolitik der Deutschen wirkt wie ein Auslaufmodell.

Die langfristigen Folgen scheinen keinen so recht zu interessieren. Dabei sollte ausgerechnet Macron wissen, was es bedeutet, wenn Dinge aus den Fugen geraten. Die Anhebung der Benzinpreise bescherte ihm mit der Gelbwesten-Bewegung den Vorgeschmack auf eine Revolution 2.0. Der ewige Nullzins provoziert vielleicht bald Schlimmeres als nur einen Vorgeschmack.

Die Politik des billigen Geldes führt zu tektonischen Verschiebungen in Wirtschaft und Gesellschaft, wie sie viele noch nicht erahnen - oder schlicht verdrängen. Denn bislang gingen alle davon aus, dass die Zinsen in Europa irgendwann wieder steigen und sich die Verhältnisse normalisieren. Inzwischen rechnet damit in den nächsten Jahren keiner mehr.

Die Steuerungsfunktion des Zinses fällt weg, was falsche Investitionsentscheide und Zombiefirmen fördert. Viel brisanter sind jedoch die Folgen für die Ungleichheit. Mit dem Nullzins wird ein ungeschriebener Gesellschaftsvertrag aufgekündigt. Während sich das Sparen früher für alle lohnte, gilt das heute nur noch für die Oberschicht. Sie spart über Aktien und Immobilien und macht dank der Inflation der Vermögenspreise permanent Profit. Die Mittelschicht geht mit Lebensversicherungen und Sparkonten leer aus. Allein in Deutschland liegen derzeit 2,5 Billionen Euro unverzinst rum. Das kann nicht lange gut gehen. Der Ruf nach Enteignungen von Wohnungen ist ein erstes Symptom für den Unmut. Weitere werden folgen.

Wenn die EZB Staatsanleihen kauft, steigen deren Kurse und sinken im Gegenzug die Zinsen. Auch eine höhere Inflation würde vor allem die Länder der Eurozone entlasten, die unter hohen Schulden leiden, etwa Griechenland und Italien, aber auch Lagardes Heimatland Frankreich.

Seit 2008 fiel die durchschnittliche Verzinsung der italienischen Staatsschuld von 4,9% auf 2,8%, eine Zinsersparnis von 260 Mrd. Euro. Für alle Staaten des Euroraums, hat die Bundesbank errechnet, lag die Zinsersparnis in den vergangenen zehn Jahren bei 1,4 Billionen Euro. Auch Deutschland profitierte: Bund, Länder und Gemeinden sparten von 2008 bis 2018 fast 370 Mrd. Euro an Zinsen.

Die EZB wird für ihre Mitgliedstaaten zunehmend zu einem Gläubiger. In ihrer Bilanz liegen Anleihen in einem Gesamtvolumen von gut 2,6 Billionen Euro. Das entspricht 22% der Wirtschaftsleistung der Eurozone. Die Falken im EZB­Rat fürchten, die EZB könne nun eine Entschuldung hoch verschuldeter Staaten wie Italien über die Notenpresse anstreben.

Für die Sparer in Deutschland verheißt das nichts Gutes. Und auch für den Finanzsektor sieht die Zukunft finster aus. Geschäftsbanken können zwar am Kapitalmarkt billig Geld aufnehmen, sie haben aber Schwierigkeiten, es wie früher zu höheren Zinsen als Kredit zu verleihen.

Obwohl Magerzinsen ein globales Phänomen sind, das viele Gründe hat, ist der Zorn darüber in Deutschland besonders groß. „Mit ihrer Geldschwemme legt die EZB die Basis für eine neue Finanzkrise", sagt Florian Toncar, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. „Je mehr unkonventionelle Maßnahmen die EZB in Angriff nimmt, desto geringer fällt der Anreiz für Reformen aus.", glaubt er mit Blick auf Europas Südländer.

Wenn die EZB zur ewigen Zinsbremse mutiert, riskiert sie die nächste Krise", sagt Unionsfraktionsvize Andreas Jung. „Billiges Geld verursacht Strohfeuer - und nach Strohfeuer bleibt nur Asche." Hinter der heftigen Kritik aus dem bürgerlichen Lager steckt neben der Sorge um die Ersparnisse der Deutschen auch die Furcht, die Billigpolitik der EZB könnte der euroskeptischen AfD neue Wähler zutreiben.

Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, warnt vor dem abschreckenden Beispiel Japan, wo die Zinsen seit mehr als 20 Jahren auf extrem niedrigem Niveau verharren, was zu einer Bankenkrise in dem Land beitrug, ohne dass die Wirtschaft wieder in Schwung gekommen wäre.

Wenn die Negativzinsphase weiter anhält oder gar noch weiter verschärft wird, wird das für die Wirtschaft und für jeden in diesem Land deutlich spürbar werden. Angesichts der Erfahrungen in Japan können wir nur davor warnen, diese langfristig negativen Effekte zu unterschätzen." In erster Linie aber fürchtet Schleweis um das eigene Geschäftsmodell. Denn zu den Andeutungen Draghis gehörte auch, dass er den Einlagenzins, den Banken entrichten müssen, wenn sie überschüssiges Geld bei der EZB parken, von minus 0,4% in Zukunft weiter senken könnte.

Draghis Strafzins soll dafür sorgen, dass die Banken lieber Kredite vergeben, um die Wirtschaft anzukurbeln, als ihr Geld teuer zu bunkern. Das klingt schlüssig, ist aber bis heute selbst in der EZB umstritten. In einem Arbeitspapier der Notenbank vom August 2018 schlussfolgern die Autoren, dass Banken sogar weniger Kredite vergeben und überschüssige Einlagen lieber verstärkt riskant anlegen, also dort, wo eben doch potenziell höhere Renditen zu holen sind. Die positive Wirkung für die Konjunktur sei daher begrenzt, vielmehr nehme die Unsicherheit an den Finanzmärkten zu. Eine erstaunliche Erkenntnis, die die Begründung für die Strafzinsen ad absurdum führt.

Sie erfährt prominente Unterstützung. „Ich glaube nicht, dass Banken wegen der höheren Strafzinsen mehr Kredite ausreichen. Die Banken könnten Investitionen tätigen, die ihnen später auf die Füße fallen und das System destabilisieren," sagt auch Ifo-Chef Fuest.

Vor allem deutsche Banken leiden unter Draghis Strafzins. Sie mussten 2018 rund 2,4 Mrd. Euro dafür aufbringen. Alle Banken im Euroraum kamen auf zusammen 7,5 Mrd. Euro. Zwar wirkt der deutsche Strafzins-Obolus überschaubar angesichts jener 85,5 Mrd. Euro, die heimische Banken und Sparkassen allein 2017 als Zinsüberschuss, ihrer Haupteinnahmequelle, verdienten.

Doch das Problem wird größer, denn während die Strafzinsen steigen, schrumpft der Zinsüberschuss der Banken seit Jahren unaufhörlich. Das ist vor allem für Institute problematisch, denen die Kunden besonders viel Geld anvertrauen: Sparkassen und Volksbanken.

Noch profitieren sie davon, dass sie Geld in hoch verzinsten Anlagen angelegt und langfristige Kredite zu höheren Zinsen vergeben haben." sagt Oliver Mihm, Gründer und Chef der Beratungsfirma Investors Marketing. Aber schon bald liefen viele dieser Wertpapiere und Kredite aus.

„2020 und 2021wird die gefährliche Zinskonstellation voll auf die Ergebnisse der Banken durchschlagen und das Zinsergebnis in den nächsten drei Folgejahren um 20 oder mehr Prozent drücken – schon bei dem aktuellen Zinsniveau."

Würde die EZB den Einlagenzins weiter senken, fiele der Effekt noch heftiger aus, rechnet Mihm vor. Viele Institute hätten in ihren Kalkulationen bisher daraufgesetzt, dass die Zinsen bald wieder leicht steigen. Diese Illusion zerschlage sich jetzt.

Hinzu kommt, dass viele Banken in dem seit zehn Jahren andauernden Aufschwung ihre Risikovorsorge für Kreditausfälle drastisch gesenkt haben, um ihren Gewinn zu steigern. Kippt die Konjunktur, könnte sich auch das schlagartig ändern.

Klar scheint, dass sich die Institute die Strafzinsen dort zurückholen wollen, wo es am einfachsten erscheint: bei den Kunden. So steigen die Kontoführungsgebühren seit einiger Zeit fast flächendeckend. Mancherorts haben Banken Strafzinsen für besonders Vermögende eingeführt, ein rechtlich heikler Schritt. Die Nassauische Sparkasse (Naspa) aus dem wohlhabenden Wiesbaden kassiert von Privatkunden, die mehr als 500.000 Euro auf Giro- und Tagesgeldkonten geparkt haben, 0,4% der angelegten Summe als Negativzins.

Alternativ führt die Naspa, wie viele andere Institute auch, vermehrt Gespräche mit Kunden, um sie zu überzeugen, ihr Geld in Aktien oder Fonds zu investieren, wofür die Banken Provisionen kassieren. Die notorisch wertpapierskeptischen Deutschen aber pflegen seit jeher ein bizarres Anlageverhalten: Lieber halten sie Bargeld und verschmähen Renditechancen, etwa am Aktienmarkt. Was also tun? „Dass die Geldhäuser auch für Kleinsparer Strafzinsen einführen, ist unwahrscheinlich - eine Klagewelle wäre die Folge", sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

Nur Kreditnehmer müssen Zinsen zahlen. „Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt keinen Minuszins für Geldanlagen.", sagt er.

Das klingt beruhigend. Doch in die Debatte schleicht sich gerade ein Begriff ein, der noch eine enorme Brisanz entwickeln könnte: Verwahrentgelt. Bislang kassieren Banken Depot- und Lagergebühren, wenn sie Wertpapiere, Schmuck oder Gold aufbewahren, künftig könnte die gleiche Masche auch auf Einlagen angewendet werden.

Bei Firmenkunden und institutionellen Sparern, etwa Versorgungswerken, verlangen zumindest die größeren Sparkassen und Banken schon seit einiger Zeit derartige Verwahrgebühren. Die Stadtsparkasse München beispielsweise nimmt 0,4% für Guthaben ab 250.000 Euro und rechtfertigt sich damit, das sei heute Marktstandard.

Rechtlich könnten derartige Entgelte auch im Privatkundenbereich vereinbart werden, allerdings nur individuell und nicht einfach mit neuen Geschäftsbedingungen." meint Nauhauser.

Peter Schneider, Präsident des baden-württembergischen Sparkassenverbands, machte jüngst deutlich, wohin die Reise gehen könnte. Sollte die EZB die Zinsen noch weiter senken und nicht gegensteuern, führe an breiter Front kein Weg daran vorbei, Geld für das Aufbewahren von Guthaben zu verlangen. Presche die Konkurrenz vor, bleibe den Sparkassen nichts anderes übrig, als nachzuziehen.

Doch selbst wenn es gelänge, zumindest die Strafzinslasten voll auf die Kunden abzuwälzen, bleibt die Lage prekär. „Die Negativzinsen der EZB sind wie ein Bazillus, der bei immer mehr Banken das Immunsystem angreift", sagt Bankenberater Mihm. In Brüssel dürften die Klagen der deutschen Banken und Sparkassen verhallen. „Die EU-Kommission würde in dem zersplitterten Bankenmarkt ohnehin gern eine Marktbereinigung sehen."

Angesichts der wachsenden Nebenwirkungen der EZB-Politik stellt sich erst recht die Frage, ob sie damit ihre Ziele erreicht. Ifo-Präsident Fuest bezweifelt das.

Die EZB-Politik hat die Grenzen ihrer Wirksamkeit erreicht."
Für Christine Lagarde ist das keine gute Botschaft.


Vielleicht ahnt es Macron ja und sorgt mit seinen Plänen vor - um sich notfalls in den Orbit retten zu können.



Kroatien drängt in den Euro-Raum

Prosperierende EU-Staaten scheuen den Beitritt. Der Grund: die Abkehr vom Haftungsprinzip. In den Euro wollen nur noch Arme rein.

Kroatien möchte den Euro einführen und hat einen Antrag auf Teilnahme am Wechselkursmechanismus mit festen Bandbreiten zum Euro gestellt. Diese Teilnahme ist Vorbedingung, um später der Währungsunion beitreten zu dürfen. In Brüssel stößt Kroatiens Antrag auf Begeisterung. Er zeige, so Euro-Gruppen-Chef Mario Centeno, dass die Euro-Zone weitere Mitglieder anziehe.

Das stimmt. Der Euro ist attraktiv - leider nur für Arme. Denn was Centeno verschweigt: Die Gemeinschaftswährung lockt nur noch EU-Staaten mit niedrigem Entwicklungsstand an. Neben Kroatien interessieren sich ernsthaft nur noch Bulgarien und Rumänien für den Euro. Das sind ausgerechnet die drei Staaten, die die letzten Plätze im EU-Wohlstandsranking einnehmen.

Ganz anders positionieren sich die wohlhabenderen Nicht-Euro-Staaten. Weder in Schweden noch in Dänemark ist der Euro-Beitritt noch ein Thema. Beide Länder haben sich auf Dauer mit eigenen Währungen in der EU eingerichtet. Auch in Osteuropa können sich die ökonomisch erfolgreichen Länder Polen, Tschechische Republik und Ungarn kaum vorstellen, Zloty, Krone oder Forint aufzugeben.

Warum lehnen die wirtschaftlich erfolgreicheren Länder den Euro-Beitritt ab, während relativ arme Volkswirtschaften in den Währungsraum drängen? Die Antwort ergibt sich beim Blick auf die Euro-Zustimmungswerte in der repräsentativen Eurobarometer-Umfrage der EU-Kommission. Dieser Wert ist mit der europäischen Schuldenkrise in Nicht-Euro-Ländern eingebrochen und hat sich seitdem nicht nennenswert erholt. Offenbar hat die Krise die Kosten-Nutzen-Analyse einer Euro-Mitgliedschaft aus Sicht prosperierender Länder stark verschlechtert. Diese Reaktion
ist nachvollziehbar, ist doch die Vertragsgrundlage der Gemeinschaftswährung über die vergangenen Jahre stark verändert worden. Galten vor 2010 die Prinzipien des Vertrags von Maastricht zum Haftungsausschluss und Verbot einer Staatsschuldenfinanzierung durch die Zentralbank uneingeschränkt, so hat die Politik diese Regeln seitdem stark verwässert.

Durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wurde das Verbot wechselseitiger Haftung eingeschränkt, und es kam mit Griechenland zu einem wichtigen Präzedenzfall. Der ESM diente dazu, für das überschuldete Land de facto einen Schuldenerlass zu organisieren. Griechenland erhielt Kredite mit Laufzeiten bis über 40 Jahre, deren Verzinsung in keiner Weise der geringen Kreditwürdigkeit entsprach.

Stark relativiert wurde auch das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in großem Stil Wertpapiere gekauft und hält heute in ihrer Bilanz 2,2 Billionen Euro an Staatsanleihen. Davon profitiert zwar nicht Griechenland, aber davon profitieren andere hoch verschuldete Staaten. So hält die EZB italienische Staatsanleihen im Umfang von gut 20% der italienischen Wirtschaftsleistung.

Derweil treibt die Politik weitere Instrumente der Umverteilung und des wechselseitigen Garantieverbunds voran: Künftig soll es ein gemeinschaftlich finanziertes Euro-Zonen-Budget für Investitionen in den Euro-Ländern geben. Außerdem soll die Bankenunion durch einen Garantieverbund der nationalen Einlagensicherungen fortentwickelt werden.

Es kann bei nüchterner Betrachtung nicht verwundern, dass diese umgestaltete Währungsunion nur noch für Länder attraktiv ist, die von den Umverteilungs- und Garantieinstrumenten profitieren. Dass sich Bulgarien, Rumänien und Kroatien für den Euro begeistern, ist völlig rational. Sie können sich ausrechnen, dass sie lange Zeit eher Empfänger als Zahler in der Euro­ Umverteilungsmaschinerie werden.

Anders ist die Perspektive Schwedens, Polens oder Tschechiens. Wähler und Politiker dort sind sich einig in der Überzeugung, nicht für fremde Schulden zahlen zu wollen. Und der sicherste Weg, diese Haftung auf Dauer zu vermeiden ist, der Euro-Zone gar nicht erst beizutreten. Für Europa ist die Perspektive einer ewigen Währungsgrenze im Binnenmarkt schlecht. Länder wie Polen und Tschechien sind tief integriert in die mitteleuropäische Wirtschaft. Volkswirtschaftlich und politisch ist ihre Teilnahme am Euro wünschenswert.

Was ist der Ausweg? Die Euro-Zone benötigt endlich eine Lösung für überschuldete Staaten, bei der offene oder verdeckte Transfers für alle Zukunft glaubwürdig
ausgeschlossen werden. Diese Lösung wird in der Wissenschaft seit Langem intensiv diskutiert - es ist eine Insolvenzordnung für Staaten.

Die Idee: Im Fall einer geordneten Insolvenz eines Euro-Landes tragen nicht die Steuerzahler anderer Staaten den Schaden, sondern risikobereite Investoren. Bislang haben die EZB unter Mario Draghi und die EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker jegliche Reform in diese Richtung abgelehnt.

Das neue Spitzenpersonal mit Christine Lagarde und Ursula von der Leyen könnte sich durch eine Abkehr von den Tabus der Vorgänger wirkliche Verdienste um Europa erwerben. Eine Insolvenzordnung für Euro-Staaten hat das Potenzial, die Währungsgrenzen in der Union zu beseitigen.



Deutschland lebt von der Substanz

Ein Satz, der in der Öffentlichkeit für Aufruhr sorgt, in der Politik hingegen gerne überhört wird: Deutschland lebt von der Substanz. Gemeint ist damit, dass die getätigten Investitionen nicht mit dem Tempo des Verfalls mithalten. Dies lässt sich daran erkennen, dass die Abschreibungen auf die öffentliche Infrastruktur die entsprechenden Bruttoinvestitionen übersteigen.

Das Bild einer Investitionsträgheit Deutschlands zeigt sich insbesondere auch, wenn man sich ansieht, welchen Anteil der wirtschaftlichen Leistungskraft die Bundesrepublik in Forschung und Entwicklung investiert.

Im Jahr 2016 waren die investiven Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Relation zum jeweiligen BIP der skandinavischen Länder um 50% höher als in Deutschland. Österreich und die Schweiz investierten sogar doppelt so viel wie die Bundesrepublik.

Um den OECD-Durchschnitt zu erreichen, müsste Deutschland die Ausgaben für Forschung und Entwicklung um ganze 70% steigern.

Aber auch die konsumtiven Ausgaben für die Massenzuwanderung nehmen einen immer größer werdenden Teil des Bundeshaushalts in Anspruch. Der CSU-Politiker Gerd Müller rechnete vor: „Für eine Million Flüchtlinge geben Bund, Länder und Gemeinden 30 Milliarden Euro im Jahr aus. Das Geld wäre in den Herkunftsländern besser angelegt." Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) kommt auf den Betrag von 50 Milliarden, den auch der Sachverständigenrat für 2017 errechnet hat. Das Kieler Institut für Wirtschaftsforschung kalkuliert mit bis zu 55 Milliarden Euro pro Jahr.

Bei angenommenen 2 Mio. Zuwanderern im sozialen Netz entspricht das ein jährliches Ausgabenvolumen zwischen 60 – 110 Mrd. € p. a. Das entspricht 16,8% bis 30,8% des Bundeshaushalts 2019 in Höhe von 356,8 Mrd. €.


Dazu passt auch: Laut Bundesfinanzministerium hat der Bundeshaushalt im vergangenen Jahr 2018 einen Überschuss von 11,2 Milliarden Euro erzielt. Das Geld soll erneut in die Rücklage zur Bewältigung der Migration fließen. Für die kommenden Jahre war das Geld zur Umsetzung von im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vereinbarter Maßnahmen vorgesehen. „Der Schattenhaushalt der Asylrücklage umfasst jetzt rund 35 Milliarden Euro, 10 Prozent des Bundeshaushalts, die Scholz zusätzlich zur freien Verfügung hat", sagte Otto Fricke (haushalts-politischer Sprecher der FDP-Fraktion).

Solange die Kosten für die Betreuung, Verwaltung und Integration der Zuwanderer über Null liegen, müssen diese Kosten von jemandem getragen werden. Tatsächlich überschreiten die direkten Kosten (Unterbringung, Verpflegung, Gesundheit, Sprachkurse) wie auch die indirekten (Verwaltung, Sicherheit) die 60-Mrd-Grenze.  Milliarden aus den öffentlichen Haushalten, die für andere Zwecke hätten verwendet werden können:

  • Zugunsten der Steuerzahler durch eine Senkung der Steuerlast. Bei einem Aufkommen von Gemeinschaftlichen Steuern von 295 Mrd. Euro immerhin ein Senkungspotential von mind. 20%.
  • Zugunsten der Transferempfänger durch großzügigere Sozialleistungen. Der Haushalt für Arbeit und Soziales in Höhe von 144 Mrd. Euro könnte um mind. 40% aufgestockt werden.
  • Zugunsten von allen Bürgern durch mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur. 2015 lagen die Investitionen von Bund, Ländern und Gemeinden bei rund 66 Milliarden. Immerhin 65% mehr hätte der Staat demnach ausgeben können.
  • Zugunsten kommender Generationen durch eine stärkere Senkung der Schuldenlast, indem der Staat mehr tilgt.

Was jedem mit gesundem Menschenverstand zuvor schon hätte klar sein müssen: Sozialstaat und offene Grenzen, das geht unmöglich zusammen. Bereits der Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman stellte ganz trocken fest: man könne einen Sozialstaat haben, man könne auch offene Grenzen haben, aber man könne nicht beides zugleich haben.
 
Bisher wurde nicht mal ansatzweise über die soziale Situation und Entwicklung in Deutschland diskutiert – ein komplexes Thema. Denn humanitäre Hilfe bedeutet, den eigenen Wohlstand mit anderen zu teilen. Dabei sollten wir uns allerdings folgende Fragen stellen:
 
  • Wie viele Zuwanderer kann sich Deutschland leisten?
  • Wie hoch ist die finanzielle Gesamtbelastung durch die Zuwanderung?
  • Sind wir dauerhaft in der Lage und bereit, diese Kosten zu tragen?
  • Wie viel Soziales Kapital  verlieren wir?
  • Ist „ultra posse" (über das Können hinaus) für Deutschland gewollt?
  • Soll auch weiterhin der römische Rechtsgrundsatz gelten, dass niemand über seine Fähigkeiten hinaus verpflichtet werden kann?
  • Gibt es eine moralische Pflicht zur Aufnahme aller Zuwanderer?
  • Gibt es ein allgemeines Menschenrecht, das da lautet: Wir wandern jetzt in einen Staat unserer Wahl ein und wollen dann lebenslang versorgt werden?
  • Können Wirtschaftsmigranten ihr Aufnahmebegehren zu einem moralischen Anspruch oder einer Gerechtigkeitsfrage machen?


Zeit zum Handeln für die deutsche Politik
  • In Deutschland wird seit vielen Jahren im öffentlichen Diskurs eine Investitionslücke beklagt. Und das zu Recht: Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland hinsichtlich Investitionen in Zukunftsbereiche wie Bildung und digitale Infrastruktur hinterher. Die Investitionstätigkeit von heute bestimmt jedoch in hohem Maße den wirtschaftlichen Erfolg von morgen.
  • Die Notwendigkeit eines gewissen fiskalischen Spielraums ist unumstritten. Dieser gewährt die Fähigkeit einer Regierung, unerwarteten Schocks mit einer effektiven Fiskalpolitik zu begegnen und die negativen Folgen einzudämmen. Ein fiskalpolitischer Handlungsspielraum ist insbesondere in einer Währungsunion wie die Eurozone unabdingbar, da ausschließlich die Fiskalpolitik als eigenständiges Instrument zur Steuerung der makroökonomischen Situation eines Landes verfügbar ist. Zudem sieht sich Deutschland mittel- bis langfristig mit der fiskalischen Herausforderung einer alternden Gesellschaft konfrontiert. In der Bundesrepublik haben sich die gute wirtschaftliche Entwicklung und die niedrigen Zinsen der letzten Jahre günstig auf die Staatsfinanzen ausgewirkt. Der IWF attestiert Deutschland daher einen ausreichenden fiskalischen Puffer.
  • Aktuelle Forschung bestätigt, dass die Kosten von Schulden für Länder mit einer Wachstumsrate, die das Zinsniveau übersteigt, weitaus geringer sind als bisher angenommen. Für Deutschland ist dies der Fall. Zudem liefern aktuelle Studien Hinweise darauf, dass der fiskalische Spielraum für Deutschland größer ist als bisher gedacht.
  • Dir Wirtschaftspolitik muss m. E. heute mutiger sein, um so die Attraktivität und internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland von morgen zu gewährleisten. Das bedeutet nicht, dass der Staat das Geld zum Fenster hinauswerfen sollte. Aber es bedeutet, dass über einige Grundannahmen der deutschen Finanzpolitik neu nachgedacht werden sollte:

    - Deutschland sollte den verfügbaren fiskalischen Spielraum nutzen, um heute Investitionen zu tätigen, die mittel- bis langfristig die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu sichern. Dazu gehören vor allem Investitionen in Bildung, die physische Infrastruktur sowie in den Zukunftsbereich Digitalisierung.

    - Maßnahmen zur Förderung des Potenzialwachstums der Wirtschaft würden dazu beitragen, die Auswirkungen des Alterns auf den langfristigen Lebensstandard auszugleichen. Dagegen führen konsumtive Ausgaben und Sozialstaatsprogramme wie die „Mütterrente" und die explodierenden Ausgaben für die Völkerwanderung nicht zu einem „Wohlstand für Alle". Sparen per se ist nicht immer gut. Entscheidend ist was, wir mit dem Ersparten machen. Das Gebot der Stunde sind daher Zukunftsinvestitionen.

    - Trauen Politiker den Bürgerinnen und Bürgern vielleicht zu wenig zu? Es scheint, als würde in der Politik aufgrund der alle vier Jahre anstehenden Wahlen viel zu kurzfristig gedacht. Fast will man den Politikern zurufen, dass die Leute verstehen, dass Investitionen, die erst in zehn bis zwanzig Jahren Früchte tragen, notwendig sind. Die Zukunft wird von der Politik zu stark ignoriert, die Gegenwart zu stark betont. Ein Umdenken scheint notwendig.

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