Aktuelles zum Niedergang der Mittelschicht am 1. März 2019


Der Wohlstand verabschiedet sich aus Europa –

Die deutsche Lust am Niedergang –

Das Verschwinden der Mittelschicht –



Das Versprechen der EU, mehr Wohlstand für alle zu schaffen, hat sich nicht erfüllt: In den meisten Staaten verschwindet die Mittelschicht. Viele Bürger arbeiten rund um die Uhr - und können von ihrem Einkommen nicht richtig leben. Wir erleben das Ende einer großen Illusion.

Eine der wichtigsten Säulen der EU ist, neben „Friedenssicherung" und „Demokratie" (um die es in der EU schlecht bestellt ist) der immer wieder beschworene „Wohlstand". Doch wie sieht die Wirklichkeit aus?

Laut einer Studie (2012) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) schrumpft in Deutschland die Mittelschicht dramatisch – allein in den vergangenen Jahren um mehr als fünf Millionen. Wir erleben fortschreitende Armut nicht nur in südlichen Ländern, auch in den einst wohlhabenden Staaten, wie Finnland oder den Niederlanden geht es mit dem Wohlstand in nur eine Richtung: Bergab.

Allerdings gibt es auch Ausnahmen: Dem Armutsbericht der Bundesregierung (September 2012) zufolge haben sich die Vermögen verdoppelt – allerdings nur jene der Reichen. 1993 gehörten 10% der Reichen 41% des nationalen Gesamtvermögens. 2011 gehörten ihnen bereits 67%. Dagegen gab es 2012 7,4 Mio. Minijobber in Deutschland. 6 Mio. Menschen sind überschuldet, jeder vierte Bürger erhält einen „Armutslohn" von unter 9,50 € brutto, 4,1 Mio. Menschen sogar weniger als 7,00 € brutto die Stunde und EU-weit sind es 120 Mio. Menschen (2013). Burn out wird zur Volkskrankheit, soziale Absicherung zum Fremdwort, Arbeitsplätze werden zu Tausenden ausgelagert (Outsourcing), Existenzängste breiten sich aus.

Der Begriff „working poor" hat sich im deutschen Sprachgebrauch festgesetzt. Das heißt, immer mehr Menschen kommen, selbst bei Vollzeitarbeit, mit nur einem Einkommen nicht mehr aus. Bereits jeder zehnte Deutsche (Stand November 2012) ist überschuldet und jeder elfte Beschäftigte (laut Bundesagentur für Arbeit) arbeitet in einem Zweitjob. Auch in Italien bewegen sich, laut einer Studie des italienischen Unternehmerverbandes Rete Impresa Italia, die Einkommen der Italiener auf dem Niveau von 1986.

Dafür vergrößert sich der Abstand zwischen Arm und Reich immer schneller. Denn von der EU gefördert wird – wir erinnern uns – hauptsächlich „Größe", ob das nun Konzerne, Agrarfabriken, Großmästereien oder Landwirtschaften sind. Der „kleine Mann" geht leer aus und fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Wahrscheinlich hat man sich in Brüssel ein Zitat aus dem Matthäusevangelium zu Herzen genommen: „Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch das genommen was er hat."

Die Vernichtung kleiner Betriebsstrukturen durch Vorgaben der EU zugunsten durchrationalisierter Großbetriebe vernichtet Millionen Arbeitsplätze. Es sind jedoch die Klein- und mittelständischen Betriebe, die Arbeitsplätze schaffen und unser Einkommen sichern. Es sind auch die Nationalstaaten, die Europa voran bringen, nicht etwa das derzeitige EU-Monster. Das schafft Arbeitsplätze nur in Brüssel. Ich wünschte mir einen Restart der EU direkt vor Einführung des Euro.

Heute zahlen Menschen mehr Abgaben als je zuvor, können aber erst viel später in Rente gehen, wobei zukünftigen Rentnern kein menschenwürdiges Altern mehr zugesichert werden kann. Der Jugend wird mit gigantischen Schuldenbergen die Zukunft verbaut.  Die Kaufkraft der Rentner ist seit dem Jahr 2000 um 20% gesunken und seit Einführung des Euros sind 60% mehr Rentner (760.000) gezwungen, sich durch Nebentätigkeiten etwas Geld dazu zu verdienen und laut Statischem Bundesamt (2013) sind 465.000 Rentner auf die Grundsicherung angewiesen. Jedes fünfte Kind in Deutschland ist armutsgefährdet.

90% der Deutschen befürchten einen sozialen Abstieg. Selbst der Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft" ist den EU-Oberen abhandengekommen. Der Hunger kehrt nach Europa zurück. In Budapest allein gibt es seit Ungarns EU-Mitgliedschaft 35.000 Obdachlose. In Griechenland sind es etwa 20.000, die Hälfte davon in Athen. Ein Phänomen, das man in diesen Ländern vor dem EU-Beitritt nicht kannte. Laut Rotem Kreuz (Oktober 2013) können sich 43 Mio. Menschen in Europa nicht genug zu essen leisten. So sieht sich das Rote Kreuz gezwungen, beispielsweise in Großbritannien, zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg Lebensmittel auszugeben. Die Tafeln in Deutschland platzen aus allen Nähten.

Vor Gründung der EU im Jahr 1992 galt der Spruch „Geht´s der Wirtschaft gut, geht's uns gut." Das hat sich dramatisch verändert. Vor Gründung der EU gab es auch sechs Länder mit „Triple-A-Rating", nach Gründung der EU nur noch drei. Dies als Erfolg zu verkaufen, gelingt nur EU-Politikern.

Die Arbeitsbedingungen für 7,8 Mio. Menschen mit prekären Arbeitsverhältnissen – davon etwa 750.000 Leiharbeiter – haben sich in einem EU-Umfeld extrem verschlechtert; auch 32% der Jugendlichen in Deutschland arbeiten in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, davon jeder vierte im Niedriglohnsektor. Jeder zweite Arbeitsvertrag ist befristet (auch dutzendfach befristete Arbeitsverträge wurden vom EuGH als rechtens befunden).

Die Massenarbeitslosigkeit unter Europas Jugendlichen nimmt dramatisch zu; mehr als 50% der Jugendlichen in Spanien, zwei Drittel in Griechenland und jeder Dritte in Italien und Portugal, sowie jeder Fünfte EU-weit, finden keinen Job. Für viele Menschen in Griechenland zählt es nicht mehr zu den Selbstverständlichkeiten, täglich etwas essen zu können. Viele Europäer, besonders in Griechenland, können sich ihre Gesundheit nicht mehr leisten. Oder sind das etwa alles Falschmeldungen von EU-Skeptikern bzw. Anti-Europäern?

Selbst Frankreich steht vor einer rapide schrumpfenden Wirtschaftsleistung. Bei Straßenbefragungen junger Leute war oft zu hören: „Es gibt nichts für was ich sagen könnte – danke EU". EU-Europa verspielt die Zukunft der Jugendlichen, einer verlorenen Generation, denn ohne Arbeit keine Wohnung, ohne Wohnung keine Familiengründung was die Demografie-Probleme verstärkt und folglich kein selbstbestimmtes Leben. Arbeitsplatzsicherheit war früher. Heute muss sich kein Arbeitgeber für unsoziales Verhalten mehr schämen.

Allein in Spanien mussten bisher über 400.000 Familien ihre Wohnungen räumen. Diese Jugend für EU-Europa zu begeistern, das trauen sich nur noch Eurokraten in teuren Hochglanzbroschüren und ihnen ergebene „Qualitäts-Medien". Seit Gründung der EU vollzieht sich ein gefährlicher Wandel und spaltet die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer.

Millionen Menschen sehen in Europa keine Zukunft mehr. Bei einer Rekordarbeitslosigkeit bleibt vielen nur eins: Raus aus EU-Europa. Selbst der portugiesische Ministerpräsident empfahl seinen Landsleuten die Auswanderung. So verließen bereits mehr als 300.000 Portugiesen ihr Land in Richtung Brasilien und sogar in die ehemaligen portugiesischen Kolonien Angola und Mozambique. In Irland kehrten seit 2008 etwa 290.000 Menschen ihrer Heimat den Rücken.

Und in Deutschland, so wie bereits um 1849 nach Niederschlagung der Revolution, als 250.000 Menschen nach Amerika auswanderten – sind es auch heute die Tüchtigsten und Mutigsten, meist gut ausgebildete Menschen, die es ins außereuropäische Ausland, nach Asien, Australien oder die USA zieht, dorthin, wo Arbeits- und Forschungsbedingungen höher bewertet werden als die EU- Armutserhaltungsindustrie.

Diesen realen Irrsinn wollen die Menschen mit ihren Steuern nicht mehr mitfinanzieren. Was in Griechenland an Verwaltung nie vorhanden war (trotz eines gigantischen Beamtenapparats), hat die beamtete Planungsbehörde in Brüssel zu viel (Budgetrahmen 2014 – 2020 für die EU-Verwaltung, 56,5 Milliarden Euro). Diese Entwicklung führt unweigerlich in den Abgrund.


Die deutsche Lust am Niedergang

Über dem Land dräuen ökonomische Gewitterwolken. Doch Politiker und weite Teile der Gesellschaft glauben an den ewigen Sonnenschein. Solche Naivität kann ihren Preis haben. Kommt die Rechnung schon 2019?

Selbst einem Berufshumoristen wie Dieter Nuhr ist 2018 die Lust am Ulk vergangen. Sein in der ARD übertragener Jahresrückblick geriet zur bitterbösen Abrechnung mit grünen Ideologen und ignoranten Wohlstandsvernichtern: „Die Chemiebranche ist den Bach runter. Die Energiewirtschaft wickeln wir gerade ab. Atomausstieg, Kohleausstieg, jetzt stehen nur noch ein paar Windräder rum. Die Banken haben sich selbst zerschossen. Nun sind wir auch noch dabei, unsere Autoindustrie zu vernichten."

Nuhr ist nicht nur feinsinniger Satiriker, sondern ein mit Daten beschlagener Beobachter. So weit sind wir also: Witz und Ironie werden mittlerweile selbst bei Kabarettisten überlagert von realer Sorge um das Land: „Es wird oft vergessen, dass es durchaus Wohlstandseinbußen geben könnte, wenn wir nur noch Kartoffeln produzieren. Ich fürchte, unser Wohlstand basiert zu einem nicht geringen Teil auf der Autoindustrie. Doch das Auto ist der Volksfeind Nr. 1. Wir vernichten gerade alles, was irgendwie unseren Sozialstaat bezahlen könnte."

Eine Industrienation wird zugrunde gerichtet

Mit derVerkehrswende" gegen das Automobil und der „Energiewende" gegen Kern- und Kohlekraftwerke wird Deutschland – nach der Migrationskrise – in eine zweite Existenzkrise gestürzt.

Das Jahr 2019 beginnt, wie das Jahr 2018 zu Ende gegangen ist. Schritt für Schritt zeigt sich ein Krisenkomplex, der in seiner Größe und Wirkung mindestens so einschneidend für die Errungenschaften Deutschlands ist wie die Migrationskrise. Es geht dabei nicht um bestimmte Branchen mit ihren Sonderproblemen, sondern um die Identität einer Industrienation überhaupt mit ihrer spezifischen Arbeitsweise und Wertschöpfung, auch mit ihren Leidenschaften und ihrer Fähigkeit, Belastungen zu ertragen. Das wird an dem Doppelangriff deutlich, dem gegenwärtig gleich zwei grundlegende Industriesektoren ausgesetzt sind: im Verkehrsbereich wird das Grundelement „Automobil" (sowohl als Diesel als auch als Benziner) angegriffen, im Energiebereich werden die großen Kraftwerke (sowohl die Kernkraftwerke als auch die Kohlekraftwerke) als stabile Träger der Grundlast-Versorgung angegriffen, ohne dass vergleichbar leistungsfähige Ersatzträger zur Verfügung stehen.

Dies alles wird mit absoluter Gewissheit verkündet. Es soll als wahre „wissenschaftliche" Politik gelten und unumkehrbar sein. Über Deutschland liegt wie ein großer Schatten „der Klimawandel". Er bildet die eigentlich politische Autorität im Lande. Ohne ihn zu berücksichtigen, darf niemand regieren. Und das gilt nicht nur für eine Legislaturperiode. Nein, wir bewegen uns längst außerhalb einer verfassungsmäßigen Ordnung, die bekanntlich nur Macht auf Zeit zulässt. Jetzt steht da eine andere Zahl: das Jahr 2038. Bis dahin sollen alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Bis ins Jahr 2038 sollen das politische Leben in Deutschland also heute schon festgelegt sein. Für diesen Zeitraum (und bis vollendete Tatsachen geschaffen sind) gilt die Demokratie nur eingeschränkt. In dieser zeitlichen Streckung steckt auch Heimtücke. Die Demontage fängt langsam an. „Ihr habt Zeit" sagen die Regierenden, aber die Richtung liegt fest. Es darf noch über das „wie" der Demontage diskutiert werden, die Verwaltungs-Frage der Umsetzung soll die politische Frage nach Ausstieg oder nicht ersticken. Der Gewinn dieses 20-Jahres-Plans ist klar: Über die ganze Wegstrecke ist die Regierungsmacht alternativlos. Die Bürger werden mit kleinen Schritten und Geld beschäftigt und hingehalten. Das kann man eine Diktatur auf Raten nennen.

Neue teure Ansprüche

Dass die Wähler das noch erleben dürfen: eine wahrhaft linke SPD. Gut drei Monate vor der Europa- und Bremen-Wahl stellen sich die Sozialdemokraten inhaltlich neu auf. Erst die „Respekt-Rente", jetzt das neue „Bürgergeld" als Ersatz für das verhasste Hartz IV, weniger Druck auf Arbeitslose – das alles und viel mehr hat die Parteiführung versprochen. Wer solche Versprechungen macht, hat gute Chancen auch bei den kommenden Landtagswahlen wieder über die 5%-Hürde zu kommen. Da werden die Wahlen in Sachsen und Thüringen für die Sozialdemokraten zum reinsten Ponyschlecken.

 „Reines Kalkül", könnten viele Wähler denken. Dass bei keinem einzigen der vielen SPD-Versprechen klar ist, wie es finanziert werden soll, erhärtet den Verdacht, dass ein paar hastig zusammengestellte Wahlversprechen den Komplettuntergang der Partei verhindern sollen.

Noch schlimmer wäre es, wenn den Sozialdemokraten die Wiederentdeckung ihrer sozialen Ader nur als Provokation innerhalb der Koalition dient. Vorstellbar ist es: Die SPD weiß, dass sie kaum etwas aus dem Konzept mit der Union umsetzen kann. Bleibt es bei leeren Versprechen, schadet auch das ihrer Glaubwürdigkeit.

Diejenigen, die das alles finanzieren müssen, warten hingegen vergebens auf ein „Gutes-Steuer-Gesetz". Im Gegenteil: Die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen zum 1. Januar 2019 zehrt die kümmerlichen Entlastungen für die geschröpfte Mittelschicht weitgehend auf. Sie darf auch nicht auf ein Ende des Solidaritätszuschlags hoffen. Denn die SPD will ihn allenfalls bei denen kappen, die kaum dazu beitragen – was also auch kaum kostet. Trickreich hantieren auch die roten Minister Scholz und Barley auch auf einem anderen Feld: Weil die Pläne des Finanzministers zur neuen Grundsteuer das Wohnen noch teurer machen dürften, plant die Justizministerin schon mal, die Umlegung auf die Mieten schlichtweg zu verbieten. Derlei Auflagen werden den erlahmten Wohnungsbau sicher beflügeln.

Die Belastung unserer Ressourcen, wie Finanzen, Wohnraum, öffentliche Strukturen, Sozialsysteme, die Kosten der Kriminalität, Integrationsmaßnahmen usw. durch die unbegrenzte Zuwanderung nehmen katastrophale  Ausmaße an. Folglich stehen diese Ressourcen der einheimischen Bevölkerung auch nicht mehr zur Verfügung, die sie aber mit ihren Steuergeldern erwirtschaftet haben. Ein Umsteuern ist hier so lange nicht in Sicht, so lange moralisierende Gesinnungsethiker die Macht ausüben und die Medien dominieren.

Was schon längst jedem klar ist, der nur etwas rechnen kann: Wir benötigen eine andere Art der Zuwanderung, die nicht die Sozialsysteme belastet, sondern produktiv ist. Es gab 2014 eine Bertelsmann-Studie über Migration. Die Headline war: ‚Migration ist gut'. In der Studie liest man aber, dass die Zuwanderung bis 2014 ein Verlustgeschäft war. Weil die Zuwanderer im Schnitt weniger produktiv waren, haben sie eine geringere Erwerbsbeteiligung und verdienen weniger als die, die schon länger hier wohnen. Die Kernaussage der Studie war: Die unbegrenzte Zuwanderung kann sich Deutschland in Zukunft nicht mehr leisten. Deutschland muss gezielt auf die Zuwanderung von gut ausgebildeten und qualifizierten Menschen achten. Der Standort Deutschland muss so attraktiv gemacht werden, dass möglichst viele hochqualifizierte Menschen kommen und sagen, ich möchte meinen Beitrag leisten. Und das gilt 2019 noch mehr als 2014.



Das Überdrehen der Ökoschraube

Nebenbei beschäftigen sich die Sozialdemokraten mit elementaren Fragen wie der, ob für Abtreibungen geworben werden darf. Vorausgesetzt, sie sind nicht mit der Ausarbeitung neuer Öko-Steuern ausgelastet, wie sie Umweltministerin Schulze in Form einer zusätzlichen CO2-Abgabe vorschwebt. Auch die unselige CO2-Verklappung im Meer und unter der Erde soll wieder hervorgeholt werden. Schon vor Jahren löste die CO2-Verklappung riesige Proteste in der deutschen Bevölkerung aus.

Dass das Überdrehen der Ökoschraube die Massenproteste der Gelbwesten in Frankreich ausgelöst hat, wird in Berlin augenscheinlich ignoriert. Offenbar auch von einer Noch-Kanzlerin, die vorgibt, als gelernte Physikerin die „Sachen vom Ende her zu denken." Aber Frau Merkel schaut ja auch dem chaotischen Treiben ihrer CDU-Minister für Verteidigung (Ursula von der Leyen) und Wirtschaft (Peter Altmaier) gleichgültig zu.

Dass es mit den üppigen Steuereinnahmen rasch zu Ende gehen könnte, kommt den Regierenden offenbar nicht in den Sinn. Stattdessen müssen geistreiche Kabarettisten wie Dieter Nuhr den Irrsinn parodieren: Wir wickeln die Diesel-Technologie ab für Antriebe mit Batterien, „die man nirgends laden kann und schon bei der Produktion so viel CO2 ausstoßen, dass man den Diesel noch gut acht Jahre hätte fahren können. Aber Batterien sind bestimmt vegan und glutenfrei." Wir lassen uns von absurden Grenzwerten schikanieren, „die auf Hochrechnungen beruhen, die auf Schätzungen basieren, denen Vermutungen zu Grunde liegen, die auf Spekulationen fußen". Wir leisten uns ein „Planungsrecht zwanzig Jahre durch alle Instanzen, um dann zu erfahren, dass sich inzwischen der „langschwänzige Karpeniltis" angesiedelt hat – mit lebenslangem Wohnrecht".


Arbeitsplatzverluste in Chemie- und Autoindustrie

Darüber mag man schmunzeln. Doch Nuhr trifft nicht den einen wahren Kern. Zu Weihnachten erfuhren die VW-Arbeiter in Emden und Hannover, dass der Umstieg auf Elektromobilität in ihren Werken jeden dritten Arbeitsplatz (7000 von 22.000) kostet und vor allem kleine Autos deutlich teurer macht.

Elektromobilität - Der chinesische Konzern CATL will in Erfurt die größte Fabrik für E-Auto-Batterien in Europa bauen. Die heimischen Unternehmen schauen zu, unfähig, selbst eine solche Gigafactory hinzubekommen. Was CATL in Erfurt plant, sprengt alle Dimensionen, und die deutsche Autoindustrie verfolgt, halb staunend, halb fassungslos, was dort geschieht: Da lässt sich ein chinesisches Unternehmen mitten in Deutschland nieder mit dem Ziel, ein Schlüssellieferant für BMW, Daimler und Co. zu werden – und dann noch für das Herzstück der E-Autos: Das Batteriesystem macht rund ein Drittel der gesamten Wertschöpfung aus. Beginnt hier die Entkernung der deutschen Autoindustrie?

Der Chemiekonzern Bayer will 12.000 Stellen abbauen. In Europa gewinnen Schuldenmacher wie Italien und Frankreich die Oberhand, derweil die EZB ihr Pulver verschossen und Brüssel keine Antwort auf den Brexit hat. Weltweit baut sich eine gigantische Schuldenwelle auf. Zugleich trübt der Handelsstreit mit den USA die Konjunkturaussichten weiter ein.

Ausgerechnet in dieser unsicheren Lage beschließt die Regierung Merkel ein „Fachkräfteeinwanderungsgesetz", das rasch Fehlanreize in die ohnehin strapazierten deutschen Sozialsysteme entwickeln dürfte, weil es die Hürden für Migration noch weiter senkt.

Dazu verspricht man großmäulig, „Brain-Drain" (Talentabwanderung) zu vermeiden und den „Brain-Gain" (Talentzuwanderung) in den Herkunftsländern zu verbessern und nennt das dann zynisch „demografische Dividende". So ist es kein Wunder, dass die Gesundheitssysteme z. B. in Polen und Rumänien am Limit laufen, weil große Teile des medizinischen Fachpersonals im Westen arbeiten und damit Menschenleben gefährden oder gar zu Tode kommen.

Schon heute ächzen Kommunen und Landkreise unter Sozialausgaben, die deutlich stärker als Löhne und Wirtschaft wachsen, und fordern ein Ende einer Vollkaskomentalität.


Sorglosigkeit und Lust an Deindustrialisierung

Woher das Geld kommen soll, um zudem all die neu geschaffenen Ansprüche (vom Baukindergeld bis zum Rentenzuschlag) zu finanzieren, wenn die Träger des deutschen Wohlstandes (Automobil, Energie, Chemie, Banken, Maschinenbau) in den Krisenmodus abgleiten? Dazu schweigen die Berliner Akteure ebenso wie jene Landespolitiker, die – siehe Bayern und Hessen – vor allem teure Koalitionsverträge vereinbaren.

Sorglosigkeit scheint das neue Markenzeichen der deutschen Politik zu sein. Gepaart mit einer grünen Lust an der Deindustriealisierung, die letztlich in den ökonomischen Niedergang mündet. Schon höhnt das Ausland über die Technik-Nation a. D., die weder Flughäfen bauen noch den Bahnverkehr organisieren kann. Ja, selbst beim Transport der eigenen Regierungsmitglieder versagt.

Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen zeichnet die soziale Lage seines Hauptfinanziers Deutschland bereits in den düstersten Farben. Auf elf Seiten werden in dem jetzt bekannt gewordenen Gutachten vor allem „Besorgnis erregende Zustände" angeprangert. Auch die Kohlereviere in England und die Autostadt Detroit waren einmal Regionen der Prosperität. Auch dort wollte man lange nicht wahrhaben, dass Wohlstand vergänglich ist und jeden Tag neu erkämpft werden muss. Bioläden und Radgeschäfte reichen dafür nicht. Da wird selbst ein Berufshumorist wie Dieter Nuhr bierernst: „Wir verhindern Zukunft, anstatt uns dafür zu wappnen."


Die Mittelschicht steckt in den Miesen

Fast sieben Millionen Deutsche sind überschuldet. Das ist nicht nur ein Problem von Menschen, die wenig verdienen und keine Aufstiegschancen haben. Betroffen ist vor allem die Mittelschicht – und das hat Gründe. Das Leben auf Pump hat Folgen: Immer mehr Menschen verlieren die Kontrolle über ihre Ausgaben und geraten in eine Abwärtsspirale.

Momentan sind ca. 6,91 Mio. Menschen über 18 Jahren überschuldet – 65.000 mehr als noch vor einem Jahr. Jeder Zehnte in Deutschland steckt in den Miesen und kann seine Rechnungen dauerhaft nicht mehr bezahlen. Zusammengerechnet belaufen sich die Schulden auf 209 Mrd. €. Das geht aus der jüngsten Studie der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervor, die im Schuldneratlas darstellt, wie viele Erwachsene zahlungsunfähig sind. Doch ab wann ist man überschuldet? „Wenn die Ausgaben die Einnahmen über einen längeren Zeitraum übersteigen und weder das Einkommen noch das Vermögen ausreichen, die Schulden zu begleichen", sagt Michael Bretz, Leiter der Wirtschaftsforschung bei der Creditreform.


Die Erosion der Mittelschicht

Ein Ergebnis der Untersuchung lässt besonders aufhorchen: 4,38 Mio. der überschuldeten Deutschen – das sind 60% – gehören zur Mittelschicht. Fast alle neuen Fälle stammen aus dieser Bevölkerungsgruppe „Wir sehen derzeit eine Erosion der Mittelschicht", sagt Bretz. „Wenn die Überschuldung weiter zunimmt, führt dies dazu, dass sie sich immer weiter auflöst und die Schere zwischen arm und reich größer wird."

Doch wer zählt zur Mittelschicht? Das lässt sich zum einen am Einkommen festmachen, sagt Rainer Bovelet, redaktioneller Leiter des Schuldneratlasses. Bei einem Singlehaushalt sind das netto rund 1.400 bis 2.600 €. Ein Paar ohne Kinder zählt ab einem Nettoeinkommen von 2.100 € zur Mitte im engeren Sinn, eine Familie mit zwei kleinen Kindern benötigt dazu schon fast 3.000 €. Zur Mittelschicht zählt demnach also der Facharbeiter mit zwei Kindern ebenso wie der Gymnasiallehrer mit Familie oder die alleinstehende Bürokauffrau. „Derzeit gehören fast die Hälfte der Bürger zur eng abgegrenzten Einkommensmittelschicht", erklärt Bovelet. „Nimmt man die einkommensschwache und die einkommensstarke Mitte dazu, sind es sogar drei Viertel aller Deutschen."


Das Einkommen allein reicht nicht

In einer sich stets verändernden Gesellschaft sagt das Einkommen allein aber noch nichts über Lebensstil, Wertvorstellungen und Verhalten aus. Menschen mit einem ähnlich hohen Verdienst und ähnlichem Bildungsstand wählen nicht zwangsläufig die gleiche Partei oder haben die gleiche Einstellung zu Geld: Die einen geben es fürs Auto oder Reisen aus, die anderen sorgen für schlechte Zeiten vor. Die Autoren des Schuldneratlasses haben sich deshalb entschieden, die Mittelschicht nicht nur über das Einkommen zu definieren, sondern anhand weiterer Merkmale zu bestimmen. Dabei spielen Milieus eine Rolle: Sie spiegeln die unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen wieder, die sich in ihrer Auffassung und Lebensweise ähneln. Vereinfacht gesagt: Sie stellen die Gruppen Gleichgesinnter dar. Die Mittelschicht setzt sich demnach aus fünf Gruppen zusammen. Die Spanne reicht vom „traditionellen Milieu", das ein starkes Sicherheits- und Ordnungsbedürfnis hat, über die „bürgerliche Mitte", die leistungs- und anpassungsbereit ist, bis hin zu den „Hedonisten", die spaß- und erlebnisorientiert im Hier und Jetzt leben.


In der Abwärtsspirale gefangen

Hauptursachen für eine Überschuldung sind Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scheidung, Sucht oder Unfälle. Rund ein Fünftel aller Fälle, und damit der größte Teil, ist auf einen Jobverlust zurückzuführen. Langfristig gesehen – über einen Zeitraum von zehn Jahren – zeigt sich aber: Arbeitslosigkeit als Auslöser für den Absturz verliert an Bedeutung. Allerdings: Menschen in der unteren Mittelschicht – etwa Facharbeiter mit geringerem Einkommen, Alleinstehende oder Ältere, die schlecht ausgebildet sind und kaum Chancen haben, sich weiter zu qualifizieren – bleiben gefährdet. „Durch die Globalisierung und Digitalisierung verschwinden ganze Branchen", sagt Michael Bretz von der Creditreform. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ergab 2016, dass in Deutschland 4,4 Mio. Beschäftigte Gefahr laufen, ihren Arbeitsplatz durch die Digitalisierung zu verlieren – vor allem in der Industrieproduktion. „Das führt dazu, dass die Mittelschicht an den Rändern ausfranst."


Die Verlockungen der Nullzins-Politik

Eine alarmierende Entwicklung, die der Schuldneratlas aufzeigt: Die unwirtschaftliche Haushaltsführung als Grund für die Überschuldung nimmt deutlich zu. Gerade dies sei oft der schleichende Einstieg in eine Überschuldungsspirale, sagt Michael Bretz. Das hat mit den Folgen der Finanzkrise zu tun. Selten war es so billig einen Kredit aufzunehmen und auf Pump zu leben. Um überschuldete Eurostaaten zu retten und die Wirtschaft anzukurbeln hat die Europäische Zentralbank den Leitzins seit 2008 auf das Rekordtief von null Prozent gesenkt. Je niedriger der Leitzins, desto günstiger wird es, Schulden zu machen. Ein Beleg ist der Konsumkredit für Privathaushalte: Seit 1991 ist die Summe von 131 Mrd. auf 234 Mrd. Euro gestiegen (Stand Juni 2017). „Die Leute sind im Nachholkonsum und leisten sich dann zu viel", erklärt Bretz. Weil es umgekehrt aber weniger Zinsen fürs Ersparte gibt, stecken immer mehr Menschen ihr Geld in Immobilien – und treiben so die Preise nach oben, was steigende Mieten nach sich zieht. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass rund 40 Prozent der Haushalte in Deutschlands Großstädten mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für Miete zahlen müssen.

Millionen Zuwanderer erzeugen ebenfalls einen permanenten Druck auf den Wohnungsmarkt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Rivalität zwischen Zuwanderern und Einheimischen für die Endlichkeit unserer Ressourcen verantwortlich ist, wie Wohnraum, staatliche und öffentliche Strukturen, Sozialsysteme usw., auf die die Mittelschicht und die untere Mittelschicht, im Gegensatz zur Oberschicht, besonders angewiesen sind.


Den Schein verzweifelt wahren

Auf den ersten Blick sieht man es den Menschen nicht an, dass ihnen das Geld hinten und vorne nicht reicht. „Es ist oft ein unsichtbares Phänomen", sagt Rainer Bovelet, Soziologe und redaktioneller Leiter des Schuldneratlasses. „Die Mittelschicht versucht verzweifelt ihr Image und ihr Leben so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, doch irgendwann müssen sie die Rechnung ­zahlen."


Milieu-Studien

Welchen Lebensstil haben Menschen, woran orientieren sie sich, welche Partei wählen sie und welchen Hobbys gehen sie nach? Mit diesen Fragen setzen sich nicht nur Marketingexperten auseinander, auch Parteien, Verbände aus Politik und Wirtschaft interessieren sich dafür, um besser auf Bedürfnisse besser reagieren zu können. Das
Marktforschungsinstitut Sinus erforscht dies seit mehr als 30 Jahren und hat ein Modell entwickelt, bei der die Gesellschaft in verschiedene, sogenannte Sinus-Milieus gegliedert wird. Ein Maßstab ist das Einkommen, eine Rolle spielen auch die Lebenswelten der Menschen. Dadurch soll die Bandbreite der Gesellschaft präziser erfasst werden. Vereinfacht gesagt stellt ein Milieu eine Gruppe von Menschen dar, die ähnliche Wertvorstellungen und Haltungen haben, einen ähnlichen Lebensstil pflegen und ein ähnliches Einkommen haben.

Die verschiedenen Schichten in Deutschland teilen sich in zehn Milieus auf. Bei der Einteilung geht es um die soziale Lage: Gehören die Menschen der Unter-, Mittel- oder Oberschicht an, welche Wertvorstellungen haben sie, sind Traditionen oder Individualisierung wichtig. Welche Einstellung haben sie zu Arbeit, Familie, Freizeit, Konsum?

Die Mittelschicht setzt sich aus fünf Milieus zusammen:
 

  • Der bürgerlichen Mitte, zu der die mittlere Altersgruppe gehört, die leistungs- und anpassungsbereit ist.
  • Dann gibt es das traditionelle Milieu, mit den älteren Menschen, die auf Sicherheit und Ordnung setzen.
  • Dritte Gruppe sind die Adaptiv-Pragmatischen - Die junge pragmatische, anpassungsbereite Mitte.
  • Zur vierten Gruppe, dem Sozialökologischen Milieu, gehört die Altersgruppe der 30- bis 60-Jährigen, die konsumkritisch ist und ein ausgeprägtes soziales Gewissen hat.
  • Zudem gibt es die Hedonisten, die spaß- und erlebnisorientiert im Hier und Jetzt leben und zu denen vor allem Schüler und Studenten zählen.


Klassische Volksparteien unter Druck: Das Verschwinden der Mittelschicht

Der französische Gesellschaftsanalyst Christophe Guilluy prognostiziert für Deutschland einen Umbruch im Parteiensystem, wie er in Frankreich bereits stattgefunden hat.

Der französische Gesellschaftsanalyst Christophe Guilluy rechnet damit, dass es auch in Deutschland langfristig zu einer Neuordnung des Parteiensystems ähnlich wie in Frankreich kommt. „Wenn sich Parteien wie die CDU, die CSU und die SPD in der Krise befinden, dann ist das auch ein Ausdruck der Krise der Mittelschicht", sagte Guilluy im Interview mit dem Tagesspiegel. „Wir sind gerade Zeugen des Verschwindens der Mittelschicht in der westlichen Welt – eine Folge der Globalisierung", sagte er.

Guilluy ist Autor des Buchs „Le Crépuscule de la France d'en haut" (etwa: „Der Niedergang der französischen Elite"), das während des französischen Präsidentschaftswahlkampfs 2017 breit diskutiert wurde. Der Geograf beschäftigt sich vor allem mit den unteren und mittleren Bevölkerungsschichten in Frankreich, die abseits der urbanen Zentren leben.


Ein Teil der Unterschicht ist zur AfD abgewandert

Nach der Ansicht von Guilluy ist auch in Deutschland eine Entwicklung im Gange, wie seit rund 15 Jahren in Frankreich zu verzeichnen sei. Ähnlich wie in Frankreich sei die Mittelschicht nicht mehr homogen, „und ein Teil der Unterschicht ist zur AfD abgewandert" – vergleichbar mit dem Erstarken des rechtsextremen Front National in Frankreich. In Frankreich habe der im Mai 2017 zum Präsidenten gewählte Emmanuel Macron auf den Wandel „blitzartig" reagiert und mit der Gründung von „En Marche" eine Bewegung aus der Taufe gehoben, die nicht mehr nach den Kriterien einer üblichen Partei funktioniere. „Für einen Umbruch, wie er in Frankreich stattgefunden hat, ist es in Deutschland vielleicht noch zu früh", sagte Guilluy. „Aber auch hier wird es dazu kommen."

Guilluy warf Macron vor, die Interessen der Bewohner in der Peripherie abseits der Städte nicht zu vertreten. „Macron verkörpert einen Populismus von oben", sagte er. Um die zunehmende Spaltung zwischen Stadt und Land wieder zu verringern, müssten zusätzliche Wirtschaftsstandorte in der Peripherie geschaffen werden, forderte Guilluy.

Guilluy, der Kommunalpolitiker in Vorstädten und ländlichen Regionen in Fragen des sozialen Wohnungsbaus berät, sprach sich dafür aus, die Forderung nach einer Begrenzung der Zuwanderung nicht dem Front National zu überlassen. „Es sind Leute wie Macron, die sich der Frage bemächtigen müssen, wie wir mit den Einwanderungsströmen umgehen", sagte er. Dabei forderte er, die Perspektive der Geringverdiener im Blick zu behalten: „Wer über ein Monatseinkommen von 1.000 Euro verfügt, für den ist Multikulturalismus nicht dasselbe wie für jemanden, der 5.000 oder 10.000 Euro verdient." Geringverdiener seien von Zuwanderung ganz anders betroffen, „weil sie im Zweifelsfall nicht einfach aus ihrem angestammten Viertel wegziehen können".

Wer kann, zieht weg

In nur zehn Jahren hat sich die Zahl der Problemviertel in Frankreich mehr als verdoppelt.

Zerstörte Fensterscheiben, Graffiti, der Aufzug funktioniert nicht – dieses Bild bieten die Hochhäuser im Pariser Vorort Sarcelles vielerorts. Ganz anders vor 25 Jahren: Damals war das im Norden der französischen Hauptstadt gelegene Viertel ein typischer Mittelschichtbezirk, von sozialem Elend gab es nur wenige Spuren. Ähnliches gilt auch für Aulnay-sous-Bois im Norden oder Clichy-sous-Bois im Nordosten von Paris: Wer konnte, ist hier in den letzten zwei Jahrzehnten meistens weggezogen, dafür kamen Einwanderer aus dem Maghreb und aus Schwarzafrika. Seit Jahren verschärft sich die Ghettobildung in Frankreich. Nach Angaben des Innenministeriums hat sich die Zahl der so genannten „quartiers sensibles", also der Problembezirke, in den letzten zehn Jahren in Frankreich mehr als verdoppelt.

Immer wieder erlangen die französischen Vororte eine traurige Berühmtheit, wenn hier immer wieder Nacht für Nacht jugendliche Zuwandererkinder auf die Straßen gehen. Inzwischen hat sich die Taktik der Krawall-Trupps, die ihrem Frust freien Lauf lassen, geändert. Die Jugendlichen suchen jetzt seltener die direkten Auseinandersetzungen mit der Polizei, sondern verlegen sich auf Brandstiftungen im Schutz der Dunkelheit.

Die Ausschreitungen erreichen immer neue Höhepunkte. Besonders schockiert sind die Einwohner der betroffenen Stadtviertel, weil die Randalierer immer rücksichtsloser vorgehen. In Pierrefitte-sur-Seine in dem heimgesuchten Département Seine-Saint-Denis bei Paris mussten mehr als 100 Hausbewohner evakuiert werden, weil in einer Tiefgarage ein Feuer gelegt worden war. Die Bilanz dieser Krawallnacht: 900 in Brand gesteckte Fahrzeuge, mehr als 250 Festnahmen. Immer wieder konzentrierten sich die Unruhen auf den Großraum Paris; aber auch in den Städten Lille, Toulouse, Bordeaux, Rennes und Rouen gab es Ausschreitungen.

Wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, Normalität zu gewährleisten, verlassen die einheimischen Bürger diese Viertel und folglich wohnen dort mehrheitlich nur noch Zuwanderer. „No-go-Areas" und Parallelgesellschaften sind die Folge.

Der französische Geograf Christophe Guilluy, hat zwei Bücher veröffentlicht: La France périphérique("Peripheres Frankreich") im Jahr 2014 und, nur wenige Wochen vor Ausbruch des Aufstands, No society. La fin de la classe moyenne occidentale ("Keine Gesellschaft. Das Ende des westlichen Mittelstandes"). Darin erklärt er, dass die französische Bevölkerung heute in drei Gruppen eingeteilt ist. Die erste Gruppe ist eine herrschende Oberschicht – die Kosmopoliten -, die vollständig in die Globalisierung integriert ist und sich aus Technokraten, Politikern, hohen Beamten, Führungskräften, die für multinationale Unternehmen arbeiten, und Journalisten, die für die Mainstream-Medien arbeiten, zusammensetzt. Die Mitglieder dieser Klasse leben in Paris und den wichtigsten Städten Frankreichs.

Die zweite Gruppe lebt in den Vororten der Großstädte und in No-Go-Areas ("Zones Urbaines Sensibles"). Sie besteht hauptsächlich aus Zuwanderern. Die französische Oberschicht, die regiert, rekrutiert Menschen, die ihr direkt oder indirekt dienen sollen. Sie werden schlecht bezahlt, aber von der Regierung über Sozialsysteme hoch subventioniert und leben zunehmend nach ihren eigenen Kulturen und Standards.

Die dritte Gruppe ist extrem groß: Es ist der Rest der Bevölkerung. Es ist diese Gruppe, die als "peripheres Frankreich" bezeichnet wird. Seine Mitglieder setzen sich aus niederrangigen Beamten, Arbeitern, Rentnern, Arbeitnehmern im Allgemeinen, Handwerkern, Kleinunternehmern, Kaufleuten, Landwirten und Arbeitslosen zusammen. Es sind die „kleinen Leute".

Für die herrschende Oberschicht sind sie nur als Steuerzahler interessant, ansonsten aber nutzlos. Die Eliten behandeln sie als bedauernswerte Füllmasse und erwarten nichts von ihnen außer Schweigen und Unterwerfung.

Mitglieder des "peripheren Frankreichs" wurden durch den Zustrom von Zuwanderern und das Entstehen von No-Go-Areas aus den Vororten vertrieben. Diese "Peripheren" leben größtenteils 30 Kilometer oder mehr von den Großstädten entfernt. Sie sehen, dass die Oberschicht sie ablehnt. Sie haben es oft schwer, über die Runden zu kommen. Sie zahlen Steuern, können aber sehen, dass ein wachsender Teil zur Subventionierung genau jener Menschen verwendet wird, von denen sie aus ihren Vororten vertrieben wurden.

Und so stehen sich zwei Seiten gegenüber, die nur noch wenig teilen: auf der einen Seite die Metropolen, glitzernde Schaufenster der Globalisierung und ihres Zwillingsbruders, des Multikulturalismus, wo die neue Bour­geoi­sie und eine bunte Vielfalt von Migranten nebeneinander leben. Und die Peripherie der kleinen und mittleren Städte, der alten Industriegebiete und entlegenen ländlichen Regionen. In ihr konzentrieren sich soziale Kategorien, die früher wenig verband, Arbeiter, einfache Angestellte, prekär Beschäftigte, Landwirte, kleine Selbstständige, Rentner, jetzt vereint durch das Gefühl, einer doppelten Unsicherheit ausgesetzt zu sein: finanziell und kulturell. Sie bleiben unsichtbar, von ihnen spricht man nicht, sie leben unter dem ironischen, herablassenden Blick derjenigen, die intellektueller, gebildeter, beweglicher, moderner sind oder sich dafürhalten. Aber sie machen in Frankreich gut 6o Prozent der Bevölkerung aus.

Von Skandinavien bis zum Mittelmeer, von den USA bis nach Mitteleuropa lassen sich ähnliche Symptome des Umbruchs beobachten.  Und ihre Fieberkurve läuft auf die gleiche tödliche Gefahr zu: das Ende der liberalen Demokratie, wie wir sie kennen. In der wachsenden Kluft zwischen dem einfachen Volk, der in Frankreich immer noch euphemistisch sogenannten „classe populaire", und den aufstrebenden Eliten, dem neuen Establishment, verschwindet die Mittelschicht, der sich bis heute die Mehrheit der Bevölkerung zurechnet und die den soliden Sockel der Demokratie bildete.

Der Untergang der westlichen Mittelschicht ist das große schmutzige Geheimnis der Globalisierung", sagt Guilluy, und das gilt für den gesamten Westen.

Ohne die Mittelschichten fehlt der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Die Erosion des traditionellen Parteiensystems, die vielfach schon in den Zerfall übergegangen ist, ist dafür ein verlässlicher Indikator. Immer öfter bringen Wahlen keine regierungsfähige Mehrheit mehr hervor. Sowohl der traditionellen Konsensdemokratie (in Deutschland verkörpert durch die Große Koalition) wie auch der Wechseldemokratie (wie in Großbritannien und Frankreich üblich) geht die Puste aus.

Die politische Herausforderung wird deshalb darin bestehen, das eigene ansässige Volk zu integrieren, statt unentwegt über die Notwendigkeit der Integration von Zuwanderern zu reden. Ohne die eine ist auch die andere Seite zum Scheitern verurteilt.

Ich glaube, es ist das Problem der westlichen Demokratien und der westlichen Eliten, dass sie das eigene Volk vergessen haben", sagt Guilluy. „Darin besteht der Verrat."

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