WIRTSCHAFTSKRIEG IM KRIEG am 15. Mai 2022


Viel ist von der Führbarkeit eines Dritten Weltkrieges in diesen Tagen die Rede. Damit ist meist der Einsatz kleiner taktischer Nuklearwaffen gemeint. Denn der Einsatz strategischer Atomwaffen würde die Welt unbewohnbar machen; Sieger und Besiegte wären in ihrer Leichenstarre kaum mehr zu unterscheiden.

Doch die Führbarkeit eines Dritten Weltkrieges ist nicht allein eine militärische Kategorie. Es handelt sich in diesen Tagen zu allererst sogar um eine ökonomische Kategorie. Denn ohne eine wirtschaftliche Entflechtung entlang der Macht- und Militärblöcke ist die effektive und über einen längeren Zeitraum durchhaltbare Kriegsführung unmöglich, wie wir schon an der deutschen Abhängigkeit von russischem Erdgas erkennen.

Deutschland kann Russland nicht hart anpacken, weil sonst bei uns die Lichter ausgehen. Den Angstschweiß von Olaf Scholz und Robert Habeck kann man förmlich riechen.

Deshalb gilt: Wer den Weltkrieg führbar machen will, der muss zuvor den Welthandel entflechten. Ökonomische Unabhängigkeit ist wichtiger als weitere Milliarden für die Bundeswehr. Nicht nur die Soldaten und ihr Militärgerät müssen also zu einer Angriffsformation versammelt werden, sondern auch die ökonomischen Ressourcen. Sie sind das Energiedepot, aus dem die Militärs sich bedienen können. In den Fabriken und Verwaltungszentralen befinden sich die stehenden Heere, die keinen Helm und kein olivgrün tragen und dennoch für das Funktionieren einer umfassenden Kriegswirtschaft unerlässlich sind.

Mit diesem ökonomischen Blick betrachtet, sind die Vorbereitungen zur Führbarmachung eines Dritten Weltkrieges in vollem Gange. Der Westen und Russland, aber auch der Westen und China sind dabei, ihre vielfach gegenseitigen Abhängigkeiten zu reduzieren und Politik, Militär und Wirtschaft in einer strategischen Formation aufzustellen: Wir gegen die.
  • Energiepolitik ist mittlerweile Sicherheitspolitik und umgekehrt. Das ist der neue deutsche Konsens nach dieser demütigenden Erfahrung von Abhängigkeit. Amerika hat bereits rechtzeitig auf Selbstversorgung umgestellt und ist heute der größte Öl- und Gasproduzent der Welt.
  • Joe Biden hatte die Decoupling-Politik von Trump erst bekämpft und dann zügig übernommen. Vor allem im Hochtechnologiebereich ist die Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen de facto verboten. Auch Partnerländer wie die Bundesrepublik werden bestraft, wenn sie sich nicht an die neuen Vorgaben halten.
  • Das Decoupling zwischen den westlichen Volkswirtschaften und dem autoritären Regime in Russland und China schreitet voran. Das Sanktionsregime gegen Russland, das auf Drängen der USA die Energielieferungen, die Zahlungssysteme und jegliche Produktionsstätten in Russland betrifft, bedeutet für die Volkswirtschaft der USA eine Stärkung. Durch die gestiegenen Energiepreise und die vollen Auftragsbücher der US-Rüstungsfirmen hat sich dieser Krieg für die USA finanziell schon gelohnt. Die drei größten US-Öl- und Gaskonzerne, ExxonMobil, Chevron und ConocoPhillips, erwirtschafteten im ersten Quartal des Jahres 16 Mrd. Euro Gewinn. Die Aktien der Rüstungskonzerne Lockheed Martin (+24%), Northrop Grumman (+18%) und Raytheon (+6%) schießen seit Anfang des Jahres in die Höhe.
  • Von der Rückverlagerung der Wertschöpfungsketten – mittlerweile hat Biden auch den Putin-Partner China ins Visier genommen – verspricht man sich in Washington eine Renaissance der amerikanischen Exportindustrie, die durch den Aufstieg Chinas unter die Räder geraten ist. Auch wenn Donald Trump nicht mehr regiert, sein ökonomisch konnotiertes „America first" gilt weiterhin, jetzt sogar erst recht. Auch Biden will die blue collar workers für sich gewinnen.
  • Der US-Senat stimmte für einen 250 Mrd. Dollar Megaplan zur Finanzierung der wissenschaftlichen Forschung und zum Ausbau der Produktion von Spitzentechnologien, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren.
  • Russland seinerseits bereitet sich auf ein Leben und Überleben außerhalb der westlichen Kreisläufe vor – mit eigenem Internet, eigenem Zahlungsverkehr und einer Kundenstruktur, die weitgehend ohne die nordamerikanische und die europäische Hemisphäre auskommt.
  • China befürchtet westliche Sanktionen und bereitet ebenfalls die Entkopplung vor. Laut einem Bericht der „Financial Times" haben am 22. April chinesische Aufsichtsbehörden eine Dringlichkeitssitzung mit in- und ausländischen Banken abgehalten, um zu erörtern, wie sie im Ernstfall die Auslandsguthaben des Landes schützen könnten.
Die Globalisierung wird derzeit in allen großen Hauptstädten und auch in vielen Firmenzentralen neu gedacht. Das ökonomische Primat von Just-in-time und Outsourcing verliert unter den Bedingungen der permanenten Kriegsbereitschaft seine Gültigkeit. Wir erleben die Politisierung und Radikalisierung der Handelsbeziehungen.
Durch die handelspolitische Entflechtung wird der Dritte Weltkrieg nicht ausgelöst, aber strategisch vorbereitet. Die Politik befreit den großen Krieg der Wirtschaftsmächte aus dem Gefängnis seiner Unmöglichkeit und macht ihn einer politischen Rationalität zugänglich.

Unbequeme Abhängigkeiten in den Lieferketten müssen vor dem Hintergrund der geopolitischen Entwicklungen neu bewertet werden", heißt es in einer aktuellen Studie der Deutschen Bank.

Fazit: Wenn wir uns die Welt als einen großen Sicherungskasten vorstellen, dann sind die dominanten Wirtschaftsmächte nun dabei, die bisherige Hauptsicherung herauszuschrauben. In einer Welt der nach politischen Ideologien separierten Wirtschaftskreisläufe ist vieles denkbar, auch der Kurzschluss.

Diese Strategie ist dennoch im Moment alternativlos. Denn: Auch die Verflechtung gemäß der Devise „Wandel durch Handel" hat den europäischen Krieg nicht verhindern können. Deshalb folgt jetzt der Wandel ohne Handel.

Verteidigungspolitik ist nicht durch Wirtschaftssanktionen ersetzbar

Durch Wirtschaftssanktionen lässt sich Verteidigungs- und Sicherheitspolitik nicht ersetzen. Das zeigt sich nicht zuletzt an der politischen Unwirksamkeit jener Sanktionen, die gegen Russland wegen der Annektierung der ukrainischen Halbinsel Krim im Februar 2014 erlassen worden sind.1Die Wirtschaftssanktionen, die von den USA und der EU seit dem 6. März 2014 gegen Russland verhängt und acht Jahre lang immer wieder verlängert wurden, hatten die politischen Ziele, dass Russland zur praktizierten Anerkennung der Schlussakte von Helsinki zurückkehrt, dass Russland das militärische Abenteuer eines verdeckten Krieges im Osten und Süden der Ukraine aufgibt und dass Russland die Krim an die Ukraine zurückgibt.

Keines dieser Ziele wurde auch nur ansatzweise erreicht, im Gegenteil: Die Illusion, man könne Verteidigungs- und Sicherheitspolitik durch Wirtschaftssanktionen substituieren, hat sogar mit dazu beigetragen, dass Wladimir Putin seit dem 24. Februar 2022 einen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führt.

Wirtschaftssanktionen wirken zwar in dem Sinne, dass sie wirtschaftliche Schäden erzeugen, - politisch und militärisch abschreckend wirken sie jedoch nur sehr
selten.2 Wirtschaftssanktionen können weder militärische Abschreckung vor Kriegen und schon gar nicht militärische Verteidigung im Kriegsfall ersetzen.

Deutsche Abhängigkeit von China

Gestern noch war Deutschland das Wunderkind der Weltwirtschaft, gerade auch dank der reißfesten ökonomischen Beziehungen zu China. Deutschland war der bevorzugte Partner der neuen Wirtschaftsmacht, derweil die Exportindustrie Amerikas unter die Räder geriet.

Die neue geopolitische Lage wirft ein anderes Licht auf den gleichen Sachverhalt. Plötzlich gilt als verdächtig, was gestern noch bewundert wurde. An der Wall Street heißt es nicht mehr anerkennend, ihr Deutschen seid großartig. Jetzt heißt es, ihr Deutschen seid leichtsinnig, weil abhängig. Aus der Erfolgs- wird eine Schadensbilanz, zumindest aus Sicht vieler amerikanischer Investoren.

Und in der Tat: Deutschland ist nicht mehr nur der Herrenausstatter der Chinesen, sondern zugleich auch deren Dienstbote. China und Deutschland sind miteinander verwoben, verlötet und verdrahtet; Exporte und Importe befeuern sich gegenseitig. Kurt Tucholsky hat es geahnt: „Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten."

Ein Blick auf die deutsche Abhängigkeit von China. Fünf Punkte sind auffällig, die unsere strategischen Möglichkeiten limitieren:

1.        Die deutsche Autoindustrie wäre ohne China, ihren größten Abnehmer, heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. Allein für Volkswagen macht der Handel mit China 40% des Gesamtabsatzes aus. Heute werden in China mehr PKW verkauft als in Europa und den USA zusammen. Bei BMW und Mercedes kommt ein Drittel der Gewinne aus China.

2.        Zugleich ist die hiesige Autoindustrie im Bereich der Speicherchips abhängig von so genannten „Seltenen Erden". Hier besitzt China eine dominante Marktposition, was unter anderem für die Produktion von Hybrid- und Elektromotoren relevant ist. Laut einer aktuellen ifo-Studie sagen 46% aller Firmen im verarbeitenden Gewerbe, sie seien auf Vorleistungen aus China dringend angewiesen.

3.        Der Großteil der Tech-Industrie in Deutschland verlässt sich mittlerweile auf Vor- und Zwischenprodukte „Made in China". „Deutschland droht perspektivisch, die Fähigkeiten zur Beherrschung wichtiger digitaler Schlüsseltechnologien zu verlieren", heißt es im gerade veröffentlichten Jahresbericht 2022 der „Expertenkommission Forschung und Innovation", die 2006 von der Bundesregierung eingerichtet wurde.

4.        Längst finden die engen Lieferbeziehungen auch auf der Kapitalseite ihre Entsprechung. BASF baut gerade das größte Werk seiner Firmengeschichte in Zhanjiang für rund zehn Milliarden Euro. Damit ist ein Decoupling, wie es in Amerika diskutiert wird, ohne massive und das heißt für die Bilanz relevante Abschreibungen nicht möglich.

5.        China wiederum hat sich in der deutschen Industrie häuslich eingerichtet. Die einstige Ikone der Deutschland AG, Mercedes-Benz, gehört heute zu 20% zwei chinesischen Anteilseignern. Den Roboterhersteller Kuka aus Augsburg hat Midea, ein chinesischer Produzent von Haushaltsgeräten, komplett übernommen. Die Auflösung dieser Überkreuzverflechtung beider Volkswirtschaften ist de facto nur durch Enteignung möglich.

Fazit: Die Firmen in Deutschland und China werden sich durch die Kriegsspiele der Politiker nicht auseinanderdividieren lassen. Die Russland-Sanktionen hat man mitgetragen. Ein ähnliches Vorgehen gegenüber China aber berührt den Kern vom Kern des deutschen Geschäftsmodells. Die Äußerungen von Herbert Diess auf der VW-Hauptversammlung darf die politische Klasse als höfliche Form der Kampfansage verstehen: „Der frühzeitige Abgesang auf das Modell ‚Wandel durch Handel' greift zu kurz. Blockbildung kann nicht unsere Antwort sein. "

Kampf gegen die feindliche Kriegswirtschaft

Eine ganz andere Frage ist indes, ob im Falle eines Krieges wirtschaftliche Kooperation mit dem Feind aufrechterhalten werden kann und inwieweit die militärischen Fähigkeiten des Feindes durch Entzug ökonomischer Mittel und Kooperationsmöglichkeiten geschwächt werden können, so dass das Erfolgspotential der eigenen militärischen Verteidigung steigt. Es geht um den Wirtschaftskrieg im Krieg. Und es geht insbesondere um den Kampf gegen die feindliche Kriegswirtschaft im bewaffneten Konflikt.3

Durch militärische und zivile Mittel wird im Kriegsfall alles angegriffen, was zur feindlichen Kriegswirtschaft gehört: Handelsverbindungen, Auslandsvermögen, Rohstoffzufuhr, Industrieanlagen, Verkehrsnetze, Arbeitsbevölkerung, Finanzwesen usw.4

Als Reaktion auf Putins Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen die Ukraine haben die USA, die EU, Japan und viele andere westliche Staaten und selbst die Schweiz umfangreiche Sanktionen verhängt, die sich zum einen auf Personen der russischen politischen Führung und deren oligarchisches Umfeld beziehen und die zum anderen viele Bereiche der russischen Wirtschaft und insbesondere das Finanzwesen treffen sollen.

Bei diesen Sanktionen handelt es sich erstens um nicht-militärische, zivile Mittel, weil die westlichen Staaten völkerrechtlich nicht von sich aus zur Kriegspartei werden wollen, was sie politisch aber zweifellos sind.

Zweitens zielen die westlichen Sanktionen nicht ausschließlich auf die russische Kriegswirtschaft und damit die Schwächung des militärischen Potentials von Russland, sondern auch auf einen Regimewechsel in Moskau qua
ökonomischer Beschädigung der russischen Volkswirtschaft und dem Zusammenbruch des russischen Bankensystems sowie auf die Bestrafung von Putins Regime und seines oligarchischen Umfeldes.

Im besonderen Fokus stehen seit Wochen Forderungen nach einem umfassenden Energieembargo von Kohle, Öl und Gas aus Russland, da dieses am effektivsten die Finanzierung des russischen Staates und der russischen Volkswirtschaft treffen wurde und wohl auch das Interessengeflecht zerstören könnte, auf welches das Regime Putin errichtet ist. Zudem könnten die vielen Sanktionslücken bezüglich SWIFT und russischen Banken bei einem umfassenden Energieembargo geschlossen werden, die derzeit offengehalten werden müssen, um die Energielieferungen aus Russland bezahlen zu können.

Die EU hat zwar in ihrem fünften Sanktionspaket ein Kohleembargo beschlossen, das nach einer Übergangsfrist von 120 Tagen, also im August, in Kraft tritt. Ein Ölembargo der EU ist in Planung. Und ein Gasembargo verhindern derzeit Deutschland, Österreich, Ungarn und Italien. In Deutschland wird von der Bundesregierung als Argument gegen ein sofortiges Gasembargo angeführt, dass man sich nicht selbst mehr schädigen dürfe als das Regime Putin und dass man jetzt nicht etwas beschließen dürfe, das man nur kurze Zeit durchhalten könne. Andererseits wurde von Deutschland sowie der EU mit Ausnahme von Ungarn die Forderung Putins zurückgewiesen, die russischen Öl- und Gaslieferungen ab dem 1. April 2022 in Rubel zahlen zu müssen. Seitdem droht verstärkt, dass Putin jederzeit den Gashahn zudrehen kann. Für diesen Fall hat die Bundesregierung Notfallpläne.

Falls Putin Deutschland den Gashahn von sich aus zudreht, müssen die ökonomischen Schäden ohnehin getragen werden. Die Befürworter eines sofortigen Öl- und Gasembargos argumentieren deshalb, dass man diese Kosten dann doch auch sofort tragen könne, zumal dann die Möglichkeit bestünde, die Finanzierungsmöglichkeiten des Regimes Putin schneller und wirksamer zu beschneiden, und die Chance steige, dass der Krieg in der Ukraine schneller beendet werden könnte oder sich zumindest nicht auf weitere Länder ausweiten werde.

Kosten eines Energieembargos

Aber wie groß könnten die Kosten eines sofortigen Energieembargos sein? Der
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung führt zu den Auswirkungen eines Wegfalls russischer Rohstofflieferungen auf die Energiesicherheit und die Wirtschaftsleistung in seiner aktualisierten Konjunkturprognose vom März 2022 für die Jahre 2022 und 2023 aus, dass ein Ausfall von Energielieferungen aus Russland einen deutlich negativen Effekt auf das BIP-Wachstum haben dürfte. Bereits ohne einen Ausfall von Energielieferungen müsse aufgrund höherer Energiepreise mit Abschlägen auf die Wirtschaftsleistung gerechnet werden:

Abhängig von der Stärke und der Dauer des unterstellten Anstiegs der Energiepreise und einer möglichen Amplifikation über den Finanzmarkt kommen die verschiedenen Abschätzungen für den Euro-Raum zu einem Abschlag von 1,2% bis 2,2% des BIP im Jahr 2022 gegenüber den Prognosen unter Berücksichtigung der jeweils aktuellen Kriegs- und Sanktionslage. Der Aufschlag für die Inflationsrate im Jahr 2022 liegt je nach Szenario zwischen 0,8% und 2,6%. Neben diesen Szenariorechnungen, die insbesondere die Auswirkungen höherer Energiepreise in den gängigen Prognosemodellen abschätzen, existieren weitere Ansätze zur Abschätzung eines Abschlags auf das BIP-Wachstum, etwa infolge eines vollständigen Importstopps russischer Energieträger" (S. 8).

Je nach Risikoszenario und Annahme über die Substitutionsmöglichkeiten müsse bei einem Stopp russischer Erdgasimporte mit weiteren Abschlägen zwischen 0,2 und 2,2% gerechnet werden. Insbesondere könne in der sehr kurzen Frist bei einem vollständigen Ausfall russischer Energieimporte eingeschränktere Möglichkeiten zur Substitution russischer Energieträger bestehen als in diesen Abschätzungen unterstellt werde. Das würde einen entsprechend stärkeren Einbruch des BIP-Wachstums nach sich ziehen. So werde von verschiedenen Seiten argumentiert, dass kurzfristige Knappheiten sowohl bei der Gas- als auch bei der Kohleversorgung zu einschneidenden Produktionsunterbrechungen bei energieintensiven Unternehmen führten und diese wiederum Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit und damit Nachfrageeinschränkungen zur Folge haben würden.

Durch Produktionsunterbrechungen könnten sich die Lieferengpässe in verschiedenen Wirtschaftsbereichen noch verschärfen. Zudem würde die durch die weiter steigenden Energiepreise zusätzlich angeheizte Inflation die Nachfrage dämpfen und. dadurch die Konjunktur zusätzlich belasten. Neben den genannten Effekten könne ein starker Anstieg der Energiepreise und ein Rückgang des BIP zu Ausfällen von Krediten und somit zu Verwerfungen an den Finanzmärkten führen.

Diese negativen Prognosen werden durch die Frühjahrsprognose der führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute vom 13. April 2022 noch überboten. Anstelle eines im Herbst prognostizierten Wachstums von 4,8% des BIP gehen sie nur noch von einem Wachstum von 2,7% des BIP für 20022 und von 3,1% für 2023 aus. Sollte Deutschland einen sofortigen Lieferstopp von Öl und Gas beschließen, dann würde Deutschland jedoch in eine scharfe Rezession fallen:

Der kumulierte Verlust an gesamtwirtschaftlicher Produktion dürfte sich in diesem Fall bereits in den beiden Jahren 2022 und 2023 auf rund 220 Mrd. Euro belaufen, was mehr als 6,5% der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht." 5

Politische und ökonomische Kosten einer Isolation Deutschlands

Aber auch diese Abschätzungen helfen politisch nicht weiter. Deutschland hat sich ohne Not und aus politischer Blindheit und Naivität – Frau Merkel sei Dank - in die Energieabhängigkeit von Russland begeben. Die jetzt drohenden Kosten eines Lieferstopps für Öl und Gas- sei er von uns durch ein Embargo ausgelöst oder von Putin, weil wir nicht in Rubel zahlen - hat die deutsche Politik selbst fahrlässig erzeugt. Warnungen verbündeter Staaten hat Deutschland jahrelang beiseitegeschoben und als Paranoia bezeichnet. Politisch stellt sich deshalb die Frage, ob Deutschland nicht gerade deshalb die Pflicht hat, diese Kosten jetzt zu tragen, um ein geschlossenes und effektives Vorgehen des Westens und der EU nicht auszubremsen.

Bei der Verabschiedung der sogenannten Eurorettungspakete wurde vielfach betont, dass Deutschland diesen trotz aller ökonomischer und ordnungspolitischer Bedenken zustimmen müsse, damit sich Deutschland nicht in Europa isoliere. Es ist zwar mehr als fraglich, ob sich Deutschland damals wirklich in Europa politisch isoliert hätte. Dafür gab und gibt es zu viele andere Euromitgliedsländer, welche die ordnungspolitische Fragwürdigkeit der sogenannten Eurorettungspakete ebenfalls teilen.

Heute wird indes eine andauernd zaudernde und schwankende Politik der deutschen Bundesregierung in Fragen des Ukraine-Krieges zweifelsohne Deutschland in der EU und in der westlichen Allianz politisch mehr und mehr isolieren. Und die ökonomischen Kosten dieser Isolation dürften die Kosten eines schnellen Energieembargos mittel- und langfristig bei weitem übersteigen. Z. Z. wird Deutschland sowohl in Hinsicht eines schnellen und wirksamen Energieembargos als auch in Bezug auf die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine als Bremser wahrgenommen.

Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass in Teilen der deutschen Politik immer noch nicht verstanden wurde, dass sich auch Deutschland in einem Krieg befindet. In einem Krieg, in welchem Deutschland nicht völkerrechtlich, aber politisch Partei ist. Davon zeugt die Verschleppung von Waffenlieferungen an die Ukraine durch den Bundeskanzler.

Vor dem 24. Februar 2022 hat man sich der Illusion hingegeben, dass man Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch Wirtschaftssanktionen ersetzen kann.

Nach dem 24. Februar 2022 scheint sich nun ein Teil der Koalitionäre - vor allem in der SPD - der Illusion hinzugeben, dass man sich im Krieg wegducken kann. Man meint zudem, keinen konsequenten Wirtschaftskrieg führen zu müssen, und man hofft, dass man in diesem Wirtschaftskrieg die Kosten, die man vorher selbst fahrlässig erzeugt hat, jetzt nicht tragen brauche.

Die politischen und ökonomischen Kosten dieser Illusionen könnten die Kosten eines sofortigen Energieembargos bei weitem übersteigen und uns noch teuer zu stehen bekommen.

1 Siehe bereits Norbert F. Tofall: Ziele und Wirksamkeit von Wirtschaftssanktionen. Eine Betrachtung hinsichtlich des Russland-Ukraine-Konflikts, Studie des Flossbach von Storch Research Institute vom 3. Februar 2015, insb. S. 11 f. sowie Norbert F. Tofall: Russland und die Ukraine. Helfen neue Wirtschaftssanktionen weiter? Kommentar zu Wirtschaft und Politik des Flossbach von Storch Research Institute vom 30. November 2018.

2 Siehe Gary Clyde Hufbauer; Jeffrey J. Schott; Kimberly Ann Elliott; Barbara Oegg: Economic Sanctions RECONSJDERED, 3rd Edition, Washington DC (Peterson Institute for International Economics) 2007 sowie Robert A. Pape: „Why Economic Sanctions Still Do Not Work", in: International Security 23 (1998), S. 66 - 77.

3 Siehe Nils Oie Oermann und Hans-Jürgen Wolff: Wirtschaftskriege. Geschichte und Gegenwart, Freiburg i.B. (Herder) 2019, S. 25 f. sowie Ulrich Blum: Wirtschaftskrieg. Rivalität ökonomisch zu Ende denken, Wiesbaden (Springer Gabler) 2020.

4 Vgl. Oermann/Wolff, ebenda, S. 25.

5 Vgl. https://gemeinschaftsdiagnose.de/2022/04/13/von-der-pandemie-zur-energiekrise-wirtschaft-und-politik-im-dauerstress/

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